„Die Arbeit ist sehr komplex, weil wir es mit drei großen Flüchtlingssituationen zu tun haben.“

Jens unterstützt das Gesamtmanagement des UNHCR-Einsatzes in Uganda.

Jens besucht eine Grundschule in der Bidibidi Siedlung im Norden Ugandas. Die Schule wurde 2016 gegründet und ermöglicht hunderten südsudanesischen Flüchtlingskindern den Zugang zu Bildung. © UNHCR/Martin Bolsterli

Name: Jens Hesemann, 41 Jahre, aus Norddeutschland

Einsatzort: Kampala, Uganda

Position:  Senior Field Coordinator

Bei UNHCR seit: 2001

Warum hast du dich für einen Job beim UNHCR entschieden?

Ursprünglich hatte ich nicht die Absicht, im Bereich des internationalen Flüchtlingsschutzes zu arbeiten. Ich hatte allerdings schon immer großes Interesse an internationalen Beziehungen und Entwicklungszusammenarbeit. Ich bin durch meinen ersten Job bei der Beratungsfirma PWC, wo ich an Audits zu Entwicklungsprojekten arbeitete, mehr oder weniger zufällig zum UNHCR gekommen. Damals suchte UNHCR jemanden mit fundierten Erfahrungen im Bereich der internationalen Hilfe und mit Vorkenntnissen im finanziellen Projektmanagement. So bin ich dann in die Abteilung für Geberbeziehungen und Ressourcenmobilisierung gekommen. Von da an wechselte ich schrittweise in operativere Rollen innerhalb der Organisation, zum Beispiel als Leiter eines Field-Office und in unsere Emergency-Abteilung. Die Arbeit beim UNHCR ist sehr erfüllend und facettenreich. Die Organisation ist nicht nur von zentraler Bedeutung für die internationale humanitäre Hilfe, sondern ist stets auch in die schwierigen Verhandlungen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene zum Schutz von Flüchtlingen involviert und unterstützt die Aufnahmeländer beim Umgang mit Flucht- und Vertreibungssituationen.

„Uganda ist zu einem der größten Aufnahmeländer der Welt geworden und zum größten Aufnahmeland in Afrika.“

 

Was macht UNHCR in Uganda?

Uganda hat in den Jahren 2016 und 2017 einen beispiellosen Zuzug von Flüchtlingen erlebt. Mit 1,35 Millionen Flüchtlingen hat sich die Flüchtlingsbevölkerung im Jahr 2017 verdreifacht. 82 Prozent der Flüchtlinge in Uganda sind Frauen und Kinder, Kinder allein machen einen Anteil von 61 Prozent aus. Das Land ist zu einem der größten Aufnahmeländer der Welt geworden und zum größten Aufnahmeland in Afrika. Es verdeutlicht so in tragischer Weise die Instabilität und die Konflikte in der Region. Die Krise im Südsudan, die sich Mitte 2016 drastisch verschärfte, ist zweifelsohne ein Auslöser der großen Fluchtbewegung nach Uganda. Aber auch die chronische und verschärfte Instabilität in der Demokratischen Republik Kongo und der Konflikt in Burundi führen dazu, dass viele Menschen ihre Heimat verlassen müssen und Schutz in Uganda suchen. Wenn die Fluchtbewegungen weiter anhalten, ist davon auszugehen, dass Uganda Ende 2018 bereits 1,8 Millionen Flüchtlinge beherbergen wird, die meisten aus dem Südsudan.

Das Schutzumfeld für Flüchtlinge ist in Uganda vergleichsweise gut: Uganda gewährt ihnen Bewegungsfreiheit, das Recht auf Arbeit und Existenzgründung, das Recht auf Dokumentation und den Zugang zu nationalen sozialen Dienstleistungen. Das Land verfolgt eine non-camp policy – Flüchtlinge leben also nicht in Camps, sondern in Flüchtlingssiedlungen inmitten der Aufnahmegemeinde. Sie erhalten relativ große Grundstücke, auf denen sie ihre Unterkünfte errichten und Landwirtschaft betreiben können.

UNHCR unterstützt die Regierung von Uganda bei lebenswichtigen Schutz- und Hilfsmaßnahmen für Flüchtlinge unmittelbar bei ihrer Ankunft. Dazu gehören Unterkünfte, Haushaltsgegenstände, medizinische Versorgung, Zugang zu sauberem Trinkwasser, sanitäre Einrichtungen aber auch Bildungsangebote. Zusammen mit der Regierung koordiniert UNHCR die Schutzmaßnahmen für Flüchtlinge in Uganda, an denen rund 100 Regierungsorganisationen, UN-Organisationen und NGOs beteiligt sind.

Wahrscheinlich werden die zuletzt nach Uganda gekommenen Flüchtlinge längere Zeit bleiben, da die Probleme in ihren Herkunftsländern, die zu ihrer Flucht führten, ungelöst sind. UNHCR arbeitet daher unter anderem an einer stabilen sozialen Versorgung in Flüchtlingssiedlungen, unterstützt Flüchtlinge dabei, sich eine Lebensgrundlage zu schaffen und hilft, die  Zusammenarbeit mit Partnern der Entwicklungszusammenarbeit zu verbessern, um nachhaltige Ansätze für den Flüchtlingsschutz umzusetzen. Uganda ist ein Pilotland für die Umsetzung des „Umfassenden Rahmenplans für Flüchtlingshilfemaßnahmen“ (engl: Comprehensive Refugee Response Framework, CRRF). Ein Schwerpunkt des CRRF in Uganda ist es, ein integriertes System sozialer Versorgung zu schaffen, von dem Flüchtlinge und die ugandische Bevölkerung gleichermaßen profitieren. So soll mittel- und langfristig die Wasserversorgung, die Gesundheitsversorgung und die Bildung von ugandischen Bezirken geleistet werden, so dass keine Parallelstrukturen für Flüchtlinge aufgebaut werden,  sondern eine nachhaltige Sozialversorgung. Eine weitere Priorität ist die sozioökonomische Befähigung von Flüchtlingen und ihren Aufnahmegemeinschaften, um ihre Abhängigkeit von Hilfsleistungen zu verringern.

1 Pal RC-resz

Neu angekommene Flüchtlinge aus Südsudan im Aufnahmezentrum in Palorinya im Moyo Bezirk, Norduganda © UNHCR

3 - site assessment Madi Okollo

UNHCR spricht mit der lokalen Bevölkerung über eine potenzielle neue Flüchtlingssiedlung in Madi Okollo im Norden Ugandas. © UNHCR/Martin Bolsterli

6 - school

Jens besucht eine Grundschule in der Bidibidi Siedlung im Norden Ugandas. Die Schule wurde 2016 gegründet und ermöglicht hunderten südsudanesischen Flüchtlingskindern den Zugang zu Bildung. © UNHCR/Martin Bolsterli

 

Wie sieht ein normaler Arbeitstag von dir aus?

Als Senior Field Coordinator im Länderbüro von UNHCR in Uganda unterstütze ich das Gesamtmanagement unseres Einsatzes und unsere Schutzmaßnahmen in Uganda und bin zuständig für die Koordination dieser Maßnahmen mit den verschiedenen Partnerorganisationen. Das ist besonders komplex, da wir es mit drei Flüchtlingssituationen an verschiedenen geografischen Orten zu tun haben – der Flüchtlingsbewegung aus dem Südsudan, der DR Kongo und Burundi. Zusätzlich bereiten wir uns auf mögliche neue Fluchtbewegungen vor. Die jüngsten Spannungen durch die Wahl im Nachbarland Kenia sind ein Beispiel. Eine weitere Schwierigkeit ist die Größe des Hilfseinsatzes. Wir haben rund 100 Partner an verschiedenen Standorten und müssen Strategien und Planungen gemeinsam mit ihnen abstimmen.

Erst kürzlich habe ich Maßnahmen gestartet, um für die DR-Kongo-Flüchtlingssituation besser vorbereitet zu sein. Ich habe Gespräche geführt mit der Regierung, anderen UN-Organisationen und NGO-Partnern über Strategien und Reaktionen in einem möglichen Notfall und welche Hilfsmaßnahmen in einem solchen Fall aktiviert werden. Im Rahmen dieser Vorsorge haben wir beispielsweise ein Transitzentrum in Matanda gebaut und ein älteres Transitzentrum in Bundibugyo instandgesetzt; dort ist die Ankunft von neuen Flüchtlingen zu erwarten. So haben wir auch entschieden, kongolesische Flüchtlinge in eine andere Siedlung „Kyaka II“ zu verlegen, die eine höhere Aufnahmekapazität hat.

Ich stimme mich zudem mit meinen Kollegen in anderen Abteilungen sowie den Teams im Feld ab, die für die Umsetzung der UNHCR-Programme zuständig sind, um herauszufinden welche zusätzlichen Ressourcen benötigt werden und wie wir sie zur Verfügung stellen können. Weiterhin ist es wichtig, ausreichend Personal für einen Hilfseinsatz zu haben. Sobald wir feststellen, dass die Ankunftszahlen von Flüchtlingen zunehmen, planen wir nach Bedarf die Notfallteams für die betreffenden Standorte. Sobald das genehmigt ist, reiche ich es beim UNHCR Emergency Service ein, der die Bereitschaftspläne für den Einsatz in Notfallsituationen erstellt.

Es gibt immer Unwägbarkeiten. Trotz aller Vorbereitung haben wir die Ankunft kongolesischer Flüchtlinge über den Albertsee nicht kommen sehen. Über lange Zeit kamen auf dieser Route sehr wenige Menschen an, dann plötzlich täglich rund 400 mit dem Boot. In einer solchen Situation muss ich in meiner Funktion als Senior Field Coordinator in der Lage sein, schnell Entscheidungen zu treffen und klare Anweisungen an die Teams im Feld und an unsere Partner zu geben. Zudem braucht man viel gesunden Menschenverstand, um ganz praktische Probleme zu lösen, etwa wie man Hilfsgüter, Logistik und andere Ressourcen am schnellsten in die betroffenen Gebiete transportiert und Partner zur Unterstützung mobilisiert.

Was sind die größten Herausforderungen in deiner täglichen Arbeit?

Als Senior Field Coordinator muss ich stets einen tagesgenauen Überblick über unsere Einsätze überall im Land haben. Zudem muss ich darauf achten, dass alle 100 Partnerorganisationen zusammenarbeiten, entsprechend unserem gemeinsamen Plan und unserer gemeinsamen operativen Strategie für Flüchtlingshilfemaßnahmen.

Einige Elemente unserer Arbeit sind sehr dynamisch. Bei 13 landesweiten UNHCR-Büros im Feld muss ich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Unterstützung von Feldeinsätzen und der Organisation von Treffen für die Koordinierung auf Länderebene bewahren. Manchmal ist einfach nicht genug Zeit.

Der CRRF bietet einen breiteren, systematischeren und nachhaltigeren Ansatz, um Flüchtlinge zu schützen und ihre Aufnahmeländer zu unterstützen. Dieser neue Ansatz birgt auch neue Herausforderungen. Da wir hoffen, dass die bestehenden staatlichen Sozialsysteme in Uganda bei der Unterstützung von Flüchtlingen stärker einbezogen werden, ist es entscheidend, dass auch die lokalen Behörden sich stärker beteiligen. Bei einem von der Ugandan National Planning Authority organisiertem Treffen habe ich einen Vortrag über den Uganda Hilfsplan 2018 (Uganda Refugee Response Plan 2018) und die humanitären Koordinationsmechanismen des Landes gehalten. Ziel war es, ein gemeinsames Verständnis über die anhaltende Flüchtlingssituation und die Unterstützungsmaßnahmen externer Partner zu entwickeln und so ein Nachdenken über ein zukünftiges Engagement der regionalen Behörden anzustoßen. Die Präsentation verlief gut und diente als Grundlage für die darauffolgende Diskussion. Dieses Treffen war ein Meilenstein in der Umsetzung der CRRF-Ziele, da die einzelnen Bezirke nach dem Treffen begannen, die Bedarfe der Flüchtlinge in die Planungen miteinzubeziehen.

7 - solar well

Jens besucht gemeinsam mit Kollegen einen neu in Betrieb genommenen Brunnen, der durch Solarenergie betrieben wird und tausende Bewohner der Bidibidi Flüchtlingssiedlung mit sauberem Trinkwasser versorgt. © UNHCR/Martin Bolsterli

5 - IA coordination

Ein Meeting mit Partnerorganisationen in der Palabek Flüchtlingssiedlung im Norden Ugandas. © UNHCR/Martin Bolsterli

4 - Palorinya flood

Konsultationen mit Flüchtlingen in der Palorinya Flüchtlingssiedlung. Die Notunterkünfte der Flüchtlingsfamilien wurden Tage zuvor in der Regenzeit überflutet. © UNHCR/Martin Bolsterli

 

Was war dein bisher schönster Moment beim UNHCR?

Eine der erfüllendsten Aufgaben, die ich bisher bei UNHCR hatte, war als Leiter des Field Offices in Batticaloa in Sri Lanka. Als Büroleiter kann man den Hilfseinsatz vor Ort leiten und ihn gleichzeitig mitgestalten. Die Auswirkungen und Verbesserungen unserer Arbeit für die Menschen, denen wir helfen möchten, sind unmittelbar sichtbar. In vielen Funktionen hat unsere Arbeit eine große Wirkung für den Flüchtlingsschutz, sie ist aber nicht immer so leicht darstellbar.

Eine weitere Aufgabe, die ich sehr geschätzt habe, war die Leitung der Entwicklung des neuen digitalen UNHCR-Notfallhandbuchs während meiner Tätigkeit als Emergency Policy Officer beim Emergency Service im UNHCR-Hauptquartier in Genf. Das Notfallhandbuch bietet seit langem wichtige Orientierung. Es war ein Privileg, dieses Handbuch ins Digitale zu übersetzen und seinen Inhalt entsprechend aktueller Realitäten im Notfallmanagement zu aktualisieren. Es hat sich so angefühlt, als würde die globale Infrastruktur des UNHCR um ein neues, nachhaltiges Werk ergänzt. Dank der Hilfe vieler Experten innerhalb der Organisation und einem von Luxemburg unterstützen Design-und Entwicklungsteam konnten wir das digitale Handbuch im Juni 2015 veröffentlichen.

Es ist abrufbar unter: https://emergency.unhcr.org

UNHCR ist in 128 Ländern auf der ganzen Welt aktiv, in großen Städten oder abgelegenen und oft gefährlichen Orten. Gemeinsam arbeiten die Mitarbeiter von UNHCR, um vertriebenen Menschen auf der ganzen Welt zu helfen. Rund 88 Prozent arbeiten im Feld und helfen den Schutzbedürftigen unmittelbar vor Ort. Darunter auch einige Deutsche. Dieses Portrait ist Teil einer Interviewreihe, die deutsche MitarbeiterInnen und ihre Arbeit beim UNHCR vorstellt.