Halbjahresbericht: Erneut mehr Menschen auf der Flucht
Halbjahresbericht: Erneut mehr Menschen auf der Flucht
GENF, Schweiz – Knapp eine Million Flüchtlinge und Migranten haben heuer bereits das Mittelmeer überquert und Konflikte in Syrien und anderswo verursachen nach wie vor unvorstellbares menschliches Leid. UNHCR warnt daher in seinem aktuellen Halbjahresbericht, dass Flucht und Vertreibung im Jahr 2015 einen absoluten Höchststand erreichen könnte.
Der UNHCR-Halbjahresbericht 2015, der Jänner bis Juni 2015 abdeckt, umfasst globale Zahlen zu Flucht und Vertreibung aufgrund von Konflikt und Verfolgung. Sowohl bei Flüchtlingen als auch bei Asylsuchenden und Binnenvertriebenen zeigt der Bericht eine alarmierende Zunahme.
Die weltweite Anzahl an Flüchtlingen, die im Vorjahr bei 19,5 Millionen lag, überstieg Mitte 2015 mit 20,2 Millionen Menschen zum ersten Mal seit 1992 die 20 Millionengrenze. Die Zahl an Asylanträgen stieg um 78 Prozent (gesamt 993.600 Anträge) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Zusätzlich wuchs die Zahl der Binnenvertriebenen um zwei Millionen auf geschätzte 34 Millionen Menschen an. Der aktuelle Bericht umfasst nur jene Binnenvertriebene, die UNHCR unterstützt, die Gesamtzahl an Binnenvertriebenen weltweit wird erst Mitte 2016 verfügbar sein.
Es steht daher zu befürchten, dass 2015 erstmals weltweit mehr als 60 Millionen Menschen Opfer von Flucht und Vertreibung sein werden. Einer von 122 Menschen wäre demnach auf der Flucht.
UN-Flüchtlingshochkommissar António Guterres: „Flucht und Vertreibung prägen unsere Gegenwart. Betroffen sind die Leben von Millionen unserer Mitmenschen – sowohl jene, die zur Flucht gezwungen wurden, wie auch jene, die ihnen Zuflucht und Schutz gewähren. Nie zuvor war es wichtiger, Toleranz, Mitgefühl und Solidarität mit jenen Menschen zu zeigen, die alles verloren haben“, so UN-Flüchtlingshochkommissar António Guterres.
Neben den steigenden Zahlen zeigt der Bericht auch weitere negative Trends. Die Anzahl freiwilliger Rückkehrer ist auf dem niedrigsten Stand seit drei Jahrzehnten mit schätzungsweise 84.000 Menschen im Vergleich zu 107.000 im Vorjahreszeitraum. Die Anzahl jener Flüchtlinge, die in Sicherheit zurückkehren können, stellt gleichzeitig auch ein globales Konfliktbarometer darf. Wer heutzutage ein Flüchtling wird, besitzt also niedrigere Chancen in seine Heimat zurückzukehren als zu jedem anderen Zeitpunkt in den letzten 30 Jahren.
Auch die Zahl der Flüchtlinge erhöht sich rapide: Etwa 839.000 Menschen mussten im ersten Halbjahr 2015 fliehen, was einer durchschnittlichen Anzahl von 4.600 neuen Flüchtlingen pro Tag gleichkommt. Der Krieg in Syrien ist weiterhin die weltweite Hauptursache für den Strom an neuen Flüchtlingen und Binnenvertriebenen. Der Bericht zeigt allerdings auch, dass selbst ohne den Syrienkrieg Flucht und Vertreibung zunehmen.
In Folge der weiter ansteigenden Flüchtlingszahlen wird auch der Druck auf die Aufnahmeländer immer größer. Wenn nicht entsprechende Maßnahmen getroffen werden, kann diese Situation zu vermehrten Vorurteilen und einer Instrumentalisierung der Flüchtlinge für politische Zwecke führen.
Trotz dieser Risiken war das erste Halbjahr 2015 auch von enormer Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft geprägt. In absoluten Zahlen nahm die Türkei bis 30. Juni mit 1,84 Millionen die meisten Flüchtlinge unter UNHCR-Mandat auf (Palästinenser fallen unter das Mandat der Schwesterorganisation UNRWA). Die meisten Flüchtlinge pro Kopf beherbergt der Libanon mit 209 Flüchtlingen pro 1.000 Einwohnern. Mit 469 Flüchtlingen pro Dollar des Bruttoinlandsprodukts trägt Äthiopien in Relation zu seiner Wirtschaftskraft die größte Last. Den Großteil der Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen tragen weiterhin jene Länder, die unmittelbar an die Konfliktzonen angrenzen; viele von ihnen sind Entwicklungsländer.
Der Bericht spiegelt nur teilweise den Zustrom an Menschen wider, die über das Mittelmeer nach Europa kamen, weil die Ankünfte erst im zweiten Halbjahr 2015 stark angestiegen sind und damit noch außerhalb des Berichtszeitraums liegen. Trotzdemwurden in Deutschland bereits in der ersten Jahreshälfte 2015 mit 159.000 die meisten Asylanträge weltweit gestellt. Das sind fast genauso viele wie für das gesamte Jahr 2014. Die zweitmeisten Anträge hat Russland verzeichnet, die meisten der knapp 100.000 Antragsteller flohen vor dem Konflikt in der Ukraine.