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"Ich hoffe, dass der Fokus auf Afghanistan andauert. UNHCR engagiert sich langfristig."

Pressemitteilungen

"Ich hoffe, dass der Fokus auf Afghanistan andauert. UNHCR engagiert sich langfristig."

27 August 2021
Caroline Van Buren, UNHCR-Vertreterin in Afghanistan © UNHCR/Susan Hopper
Die vergangene Woche war für Afghanistan äußerst turbulent, aber  Mitarbeiter*innen und Partner von UNHCR sind weiterhin im Land, um  humanitäre Hilfe zu leisten und Schutzmaßnahmen für viele der 3,5 Millionen Binnenvertriebenen bereitzustellen, darunter mehr als eine halbe Million, die seit Anfang dieses Jahres vertrieben wurden. Die UNHCR-Vertreterin in Afghanistan, Caroline Van Buren, erklärt, wie ihre Kollegen sich auf die humanitäre Krise einstellen und  darauf reagieren, wo immer sie dies gefahrlos tun können.

Wie ist die Lage in Kabul im Moment? Und wie geht es Ihnen und Ihren Mitarbeiter*innen?

Derzeit ist die Lage relativ ruhig. In einigen Gebieten kommt es weiterhin zu Gefechten und wir hören immer noch sporadisch Schüsse, aber weniger als in den ersten paar Tagen. Die Lage kehrt langsam zu einer gewissen Normalität zurück.

Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt, was passieren wird, oder wann es eine Regierung geben wird. Wir schauen also von Tag zu Tag und hoffen auf das Beste.

Uns geht es den Umständen entsprechend gut. Wenn ich mit den Mitarbeiter*innen spreche, sind sie immer noch verwirrt. Einige von ihnen haben Angst, andere wollen zur Arbeit zurückkehren.

 

Inwieweit ist es Ihnen angesichts der Sicherheitslage möglich, Hilfe zu leisten? Und welche Art von Hilfe leisten Sie?

Wir haben Zugang zu allen 34 Provinzen, zu 299 von 450 Bezirken. Es kann sein, dass in einem Gebiet alles in Ordnung ist und in einem anderen nicht, es ist also eine gemischte Situation und wir müssen für die Sicherheit der Mitarbeiter*innen sorgen. Bis jetzt haben die Taliban unsere Räumlichkeiten und unsere Arbeit respektiert. Aber die Situation ändert sich ständig und wir müssen vorsichtig sein, nicht nur für UNHCR und unsere Mitarbeiter*innen, sondern auch für unsere Partner. Wir arbeiten landesweit mit vielen Partnern zusammen. Die meisten von ihnen sind nationale NGOs, die in bestimmten Gebieten mehr Zugang haben als wir.

Wir leisten Nothilfe für Menschen, die vertrieben wurden und sofort lebensrettende Hilfe benötigen; Menschen, die mit absolut nichts aus ihren Häusern geflohen sind. Wir stellen die wichtigsten Hilfsgüter bereit, wir sorgen für Unterkünfte, Wasser, Gesundheitsversorgung, sanitäre Einrichtungen und Nahrungsmittel. Wo möglich, stellen wir auch Bargeld zur Verfügung.

Wir haben schon vor einiger Zeit mit der Nothilfe begonnen, weil der Konflikt noch andauert. Nach der Ankündigung im Mai, dass die internationalen Streitkräfte abziehen würden, gab es einen akuten Anstieg, aber der Konflikt dauerte an. Allein in diesem Jahr haben wir über 200.000 Menschen mit Soforthilfe erreicht.

 

Was brauchen die Menschen, die vor kurzem vertrieben wurden, jetzt am dringendsten?

Auf jeden Fall Nahrungsmittel, aber auch Unterkünfte, Wasser, sanitäre Einrichtungen und grundlegende Hilfsgüter wie Plastikplanen, Eimer, Decken und Gasflaschen zum Kochen sowie Hygiene-Kits für Frauen. Grundlegende Hilfsgüter, die  Menschen brauchen, wenn sie von zu Hause fliehen, ohne etwas mitnehmen zu können.

 

Wie sorgen Sie für die Sicherheit der Mitarbeiter*innen und Partner, wenn Sie diese Verteilungen durchführen?

Die Taliban ermutigen uns, unsere Aktivitäten wieder aufzunehmen; sie sagen, dass sie für die notwendige Sicherheit sorgen werden. In den meisten Gebieten nehmen wir unsere Arbeit also vorerst wieder auf, aber wir brauchen dafür grünes Licht von den Taliban.

 

Inwieweit sind  Afghan*innen auf der Suche nach Sicherheit in der Lage, die Grenzen zu erreichen und zu überqueren?

Die meisten Grenzen sind geschlossen. Der einzige Ort, an dem  Menschen derzeit ein- und ausreisen können, ist Spin Boldak, die Grenze zu Pakistan, wo wir ganz normal arbeiten können. In den letzten Tagen sind 20.000 Menschen ausgereist und 19.000 Menschen eingereist. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um Asylsuchende; dies ist eine sehr stark frequentierte Grenze und das sind die Zahlen, die wir regelmäßig haben. Es gibt Menschen, die nach Pakistan gehen, um sich medizinisch versorgen zu lassen, es gibt Menschen, die zur Schule gehen, zur Arbeit, zu ihrer Familie. Und genauso viele Menschen kommen nach Afghanistan. Die Ausreise nach Spin Boldak erfolgt über Kandahar, und unsere Kollegen und Partner sagen, dass dort freier Verkehr herrscht. Es gibt zwar Kontrollpunkte, aber es gibt keine größeren Probleme.

An anderen Grenzübergängen, zum Beispiel an der Grenze zum Iran, braucht man ein Reisedokument und ein Visum. Aus diesem Grund nutzen einige Menschen Schlepper , um über irreguläre Grenzübergänge zu gelangen.

Die Grenzen zu Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan sind für den Personenverkehr geschlossen, und andere Grenzen sind nur für den gewerblichen Verkehr, z. B. für Lastwagen, die zur Versorgung beitragen, geöffnet.

 

Die Evakuierung des Flughafens von Kabul und die Resettlementkapazitäten verschiedener Länder sind in letzter Zeit viel diskutiert worden. Können Sie bitte den Unterschied zwischen Evakuierung und Resettlement und die unterschiedliche Rolle des UNHCR in diesen beiden Prozessen erläutern für diejenigen, die das nicht wissen?

Verschiedene Länder evakuieren ihre Staatsbürger, Personen mit dauerhaftem Wohnsitz sowie die Afghan*innen, die für sie gearbeitet haben. UNHCR ist daran nicht beteiligt. Wenn es um Resettlement geht, sind wir involviert, aber wir kümmern uns nur um Resettlement aus dem Aufnahmeland. Afghanische Staatsbürger*innen müssten also ihr Herkunftsland verlassen, in einem anderen Land Schutz suchen. Wenn es in diesem Aufnahmeland keine langfristige Lösung oder Perspektive auf Integration gibt, kann ein Drittstaat sich zur Aufnahme dieser besonders schutzbedürftigen Personen bereit erklären. Das nennen wir Resettlement. Das ist ein langwieriger Prozess, der eine Reihe von Gesprächen und Überprüfungen umfasst und leider nur einem sehr kleinen Teil der am meisten gefährdeten Flüchtlinge offensteht.

 

Um welche Bevölkerungsgruppen machen Sie sich im Moment die größten Sorgen?

Journalisten und andere Medienschaffende; Menschen, die im Verdacht stehen, die ehemalige Regierung zu unterstützen; Menschen, die im Verdacht stehen, die internationalen Streitkräfte zu unterstützen; und Angehörige ethnischer Minderheiten. Für Frauen und Mädchen ist die Politik noch nicht klar, sie unterscheidet sich von Gebiet zu Gebiet. In einigen Gebieten wird uns gesagt, dass Frauen Zuhause bleiben sollen und nicht arbeiten dürfen. In anderen Gebieten dürfen sie arbeiten, abhängig von der Art der Arbeit.

 

Was kann getan werden, um den bedürftigen Afghan*innen in diesem Moment zu helfen?

Als Erstes fordern wir die Länder auf, ihre Grenzen offen zu halten, damit Afghan*innen, die ausreisen und internationalen Schutz suchen wollen, dies tun können.

Als Zweites bitten wir um Unterstützung für die Binnenvertriebenen - lebensrettende Hilfe für diejenigen, die ihr Zuhause verlassen mussten.

Und dann brauchen wir auch Unterstützung für das "regular programming", wie wir es nennen – den Wiederaufbau von Lebensgrundlagen  für Menschen, die nach Hause zurückkehren; die Nutzbarmachung und der Aufbau beschädigter Infrastruktur; die Sicherstellung des Lebensunterhalts der Menschen.

Dies sind also die drei Ebenen: Erstens, die Grenzen offenhalten, zweitens lebensrettende Soforthilfe leisten und drittens die beschädigte Infrastruktur und Einrichtungen wiederherstellen und aufbauen, damit die Menschen nach Hause zurückkehren können.

Für all diese Maßnahmen ist die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft erforderlich, und derzeit ist unsere Hilfe in Afghanistan nur zu 43 % finanziert.

Ich hoffe, dass der Fokus auf Afghanistan andauert und nicht nach ein paar Wochen wieder verschwindet. UNHCR engagiert sich langfristig.