UNHCR-Vertreterin Triggs: Klimakrise führt zu „Flucht und Konflikten“
UNHCR-Vertreterin Triggs: Klimakrise führt zu „Flucht und Konflikten“
Die Klimakrise wird in Zukunft immer mehr Menschen in die Flucht treiben. Der Anstieg des Meeresspiegels oder die Austrocknung von Ackerflächen lässt Lebensgrundlagen verschwinden. Gillian Triggs, stellvertretende UNO-Flüchtlingshochkommissarin (UNHCR), sagt im APA-Interview, dass die prognostizierte Zahl der Weltbank von bis zu 216 Millionen Klimavertriebenen bis 2050 kaum fassbar ist. Die Welt brauche „viel Vorbereitung, um darauf reagieren zu können“.
APA: Die Weltgemeinschaft verhandelt gerade bei der UNO-Klimakonferenz über die Einhaltung der Pariser Klimaziele. Welche Effekte hat das veränderte Klima auf die Fluchtmotive?
Gillian Triggs: Der Anstieg von Hurrikans, die Ausbreitung von Wüsten, Schlammlawinen, die Auswirkungen von Überschwemmungen und Bränden oder der erschwerte Zugang zu Wasser und Weideflächen sind alle auf die eine oder andere Weise mit dem Klimawandel verbunden. Auf diese extremen und dramatischen Ereignisse folgen oft Vertreibung oder Konflikte. Menschen müssen innerhalb ihres Landes oder auch über die Grenzen hinweg fliehen, um ihre Lebensgrundlage zu sichern. Wir sehen das etwa jetzt schon in der Sahel-Zone, in der Pazifik-Region, im Norden Zentralamerikas und im Ganges-Delta, vor allem in Bangladesch.
APA: Die Weltbank rechnet bis zum Jahr 2050 mit bis zu 216 Millionen Klimaflüchtlingen, die sich wegen der Erderwärmung innerhalb ihrer Heimatländer ein neues Zuhause suchen müssen. Wie kann man sich diese Situation vorstellen?
Triggs: Diese Zahl ist unfassbar. Im Moment haben wir rund 84 Millionen Vertriebene auf der Welt. Die Zahl ist vermutlich noch höher, weil nicht alle registriert sind. Aber Menschen können diese Dimensionen nur noch schwer greifen. Erst wenn das Leben von ganz normalen Bürgern direkt betroffen ist, wenn sie selbst keine Jobs mehr finden und viele Schutzsuchende in ihrer Umgebung sind, wird sich das ändern. Dann werden sich die Männer und Frauen mit Massenbewegungen auseinandersetzen müssen.
APA: Das führte aber in der Vergangenheit immer wieder zu Spannungen.
Triggs: Ja, das ist sehr beunruhigend. Wir wissen, dass Menschen sehr negativ darauf reagieren können. Deshalb brauchen wir viel Vorbereitung, um darauf reagieren zu können.
APA: In der Genfer Flüchtlingskonvention, die vor 70 Jahren verabschiedet wurde, gibt es per Definition gar keine Klima- oder Umweltflüchtlinge. Glauben Sie, dass diese Gruppe noch in die Konvention aufgenommen werden muss?
Triggs: Wir werden in absehbarer Zeit kein neues Abkommen bekommen. Aber wir sehen, dass es legale Wege gibt, um das Problem zu umschiffen. Häufig führt die Vertreibung durch die Klimakrise zu Konflikten. Gruppen streiten um den verbleibenden Zugang zu Wasser oder um Weiden, um ihre Tiere grasen zu lassen. Und Konflikte sind in der Genfer Flüchtlingskonvention natürlich enthalten. Das ist eine Art Umgehung, die interessanterweise auch niemand infrage stellt.
APA: Im Gegensatz zu Kriegsflüchtlingen, die nach dem Ende von Konflikten oft wieder in ihre Heimat zurückkehren, wird das bei Klimavertriebenen kaum möglich sein. Wie verändert das die Situation?
Triggs: Bei vielen Konflikten hofft man natürlich auf schnellen Frieden. Fast alle Flüchtlinge wollen wieder in ihre Heimat zurück. Wir sehen als Phänomen, dass sich Konflikte zunehmend schwieriger lösen lassen, wie etwa in Myanmar oder in Syrien. Aber wenn es keine Anbauflächen mehr gibt oder deine Insel überschwemmt ist, gibt es realistischerweise keine Perspektive, jemals wieder zurückzukehren. Das ist eine komplett neue Dimension und die Gemeinschaften, die jene Vertriebenen aufnehmen, müssen sich darauf vorbereiten.
APA: Finden Sie, dass die wohlhabenderen Länder des sogenannten globalen Nordens die Dimension der Klimakrise gut fassen?
Triggs: Es liegt in der menschlichen Natur, sich vorwiegend damit auseinanderzusetzen, was in der eigenen Umgebung passiert. Und wenn es ein so sicherer und komfortabler Ort wie etwa Wien ist, ist es sehr schwer, den Bürgern näherzubringen, welche Konsequenzen die Ausbreitung der Wüste in der Sahel-Zone hat. Die Problematik wird wohl erst dann durchdringen, wenn die Vertriebenen auf der eigenen Türschwelle stehen. Solange Politiker nicht stärker auf dieses Thema hinweisen und sich auch hinstellen und sagen: „Wir müssen Milliarden Dollar ausgeben, um das Problem zu lösen“, solange werden wir keinen Fortschritt sehen. Das ist auch bei der aktuellen Klimakonferenz zu beobachten.
APA: Wieso glauben Sie, dass sich Politiker und Politikerinnen nicht noch stärker einsetzen?
Triggs: Eines der Probleme von Demokratien ist es, dass Machthabende nur für kurze Zeiten an der Macht sind. Das bedeutet natürlich, dass diese Politiker auf aktuelle Probleme, wie Wirtschaftsleistung, Gesundheitswesen oder Bildung, achten. Im Prinzip versuchen sie, den Status quo zu erhalten. Das Letzte, was sie machen wollen, ist ihre eigene Gemeinschaft zu destabilisieren und sich um Dinge zu kümmern, die sie selbst in Amt und Würden niemals erleben werden. Aber wir sehen auch, dass viele reiche Länder ärmere und betroffene Staaten immer stärker finanziell unterstützen, um einen nachhaltigen Wandel zu erzeugen.
APA: Die UNHCR verantwortet auch einige Projekte. Welche Beispiele gibt es da?
Triggs: Wir müssen selbst eine Führungsrolle einnehmen. In dem Flüchtlingslager in Cox's Bazar in Bangladesch, in dem fast 850.000 Rohingya leben, haben wir Solarmodule installiert. Das klingt nach einem kleinen Wurf, um nachhaltige Energie in das Gebiet zu bekommen. Aber wir wissen, dass Frauen, die sich ansonsten in diesen Camps täglich auf die Suche nach Feuerholz machen müssen, oft vergewaltigt und angegriffen werden. So schaffen wir nicht nur saubere Energie, sondern retten auch wirklich Leben.
APA: Welche klimafreundlichen Umstellungen gab es denn in der UNHCR oder bei Ihnen persönlich?
Triggs: Die Farbe der UNO ist Blau. Wir versuchen nun unter dem Motto „Das Blaue grüner zu machen“ selbst nachhaltigeres Verhalten an den Tag zu legen und unsere Büros und unsere Arbeit so klimaneutral wie möglich zu machen. Aber wir sind noch nicht dort, wo wir sein wollen. Ich selbst gehe seit Neuestem immer zu Fuß in die Arbeit, werde immer besser im Recycling und benutze keine Plastiksackerl mehr. Und bei meinem Wien-Besuch habe ich zuletzt ein Fahrrad-Taxi benutzt.