UNHCR fordert Australien auf, Schutzsuchende aus „Offshore“-Einrichtungen zu evakuieren
UNHCR fordert Australien auf, Schutzsuchende aus „Offshore“-Einrichtungen zu evakuieren
UNHCR ruft die Regierung Australiens auf, unverzüglich Massnahmen zu ergreifen, die massive Verschlechterung der medizinischen Gesamtsituation in den so genannten „offshore“-Einrichtungen in Papua-Neuguinea und Nauru zu stoppen. Australien hat eine völkerrechtliche Verantwortung für Menschen, die Schutz beantragt haben. Es gilt nun zu handeln und weitere Tragödien für jene Schutzsuchenden zu verhindern, die im Rahmen der so genannten „offshore processing“-Politik (der Bearbeitung der Asylverfahren ausserhalb der Landesgrenzen) zwangsweise in diese Einrichtungen gebracht wurden. UNHCR ruft erneut auf, Flüchtlinge und Asylsuchende unverzüglich nach Australien zu bringen, wo sie eine angemessene Versorgung und Betreuung erhalten können.
Im September 2018 mussten mehr Flüchtlinge und Asylsuchende aus medizinischen Gründen von Nauru nach Australien evakuiert werden, als in den beiden vorherigen Jahren zusammen. Diese Entwicklung macht die Verschlechterung der Gesamtsituation, besonders der gesundheitlichen Bedingungen weiter deutlich. Eine Reihe von Rückführungen fand aufgrund von Gerichtsbeschlüssen und Klagen statt.
Von rund 1.420 Personen, die noch in Papua-Neuguinea und Nauru festgehalten werden, sind inzwischen rund 500 aus medizinischen Gründen nach Australien gebracht worden. Das ist mehr als ein Viertel der Betroffenen. UNHCR-Erhebungen haben jedoch gezeigt, dass die Zahl der Menschen, die dringend medizinisch versorgt werden müssen, weit höher ist, besonders im Bereich psychischer Gesundheit. Einer der Fälle, auf die UNHCR im September aufmerksam wurde, war ein selbstmordgefährdetes Mädchen. Sie blieb auf Nauru, trotz gegenteiliger Empfehlung der ÄrztInnen. Das Mädchen hat sich mit Benzin übergossen und versucht hat, sich anzuzünden.
2018 wurde jedoch niemand von Papua-Neuguinea nach Australien gebracht, obwohl es zahlreiche Fälle gab, in welchen eine Evakuierung aus medizinischen Gründen dringend notwendig gewesen wäre. Eine Reihe von Menschen, die dringend physische und psychologische Versorgung gebraucht hätten, haben diese nicht erhalten. Darunter auch Fälle, die von UNHCR bereits 2017 an die australische Regierung übermittelt wurden.
Die Hälfte der zwölf Toten, die die „Offshore processing“-Politik bisher gefordert hat, sind vermutete oder bestätigte Selbstmorde, darunter mehrere Flüchtlinge und Asylsuchende, die nach Australien hätten gebracht werden müssen.
Ein junger Iraner, der den grössten Teil seines Erwachsenenlebens in einer „Offshore“-Lager verbracht hatte, schrieb bereits 2014 an den australischen Vertragsarzt in Nauru und äusserte Selbstmordgedanken. In Briefen, die nun auf Wunsch der Familie veröffentlicht wurden, flehte seine Mutter immer wieder um die medizinische Versorgung, die er benötigte. Tragischerweise nahm er sich im Juni dieses Jahres das Leben.
Seit 2016 warnt UNHCR wiederholt vor den schwerwiegenden, negativen gesundheitlichen Auswirkungen des „Offshore prossesing“. Diese Bedenken wurden auch von anderen unabhängigen Stellen, darunter der Australian Medical Association, geäussert. UNHCR hat wiederholt betont, dass ausserhalb von Papua-Neuguinea und Nauru langfristige Lösungen erforderlich sind. Dazu gehört eine umfassende medizinische Versorgung sowie Folter- und Traumaberatung. Die australischen Behörden haben eine klare Sorgfaltspflicht für das Wohlergehen der Menschen, die an diese Orte gebracht wurden. Diese essentiellen Verpflichtungen bleiben jedoch unerfüllt.
UNHCR stimmt mit der Regierung Australiens nicht überein, dass solche Fälle ausschliesslich „Angelegenheiten Papua-Neuguineas und Naurus“ sind. Australien hat dieses System entworfen, finanziert und verwaltet. Seit 2013 hat Australien das Budget für die Betreuung von „Offshore“-Flüchtlingen und Asylsuchenden um etwa die Hälfte reduziert. Und das, obwohl die Anzahl der Schutzsuchenden im gleichen Zeitraum um nur sieben Prozent zurückgegangen ist und der medizinische Bedarf weiter wächst.
Zwar wird erwartet, dass etwa 1.250 Flüchtlinge im Rahmen einer bilateralen Vereinbarung mit der Regierung Australiens in die USA umgesiedelt werden, aber für eine Reihe von Männern, Frauen und Kindern, die nicht länger warten können, gibt es noch keine Lösung.
UNHCR hat wiederholt gefordert, dass Australien das Angebot Neuseelands zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Papua-Neuguinea und Nauru akzeptiert. Da es keine anderen Alternativen gibt, ruft UNHCR auf, alle Flüchtlinge und Asylsuchende unverzüglich von Papua-Neuguinea und Nauru nach Australien zu bringen um weiteres Leiden und Todesfälle zu verhindern.
Hintergrund
Rund 3.000 Flüchtlinge und Asylsuchende wurden seit der Einführung der aktuellen Regelungen im Jahr 2013 von Australien zwangsweise in sogenannte „Offshore processing“-Einrichtungen in Papua-Neuguinea und Nauru gebracht. Von diesen befinden sich noch etwa 800 Personen in Nauru und 650 in Papua-Neuguinea. Flüchtlinge und Asylsuchende wurden zunächst eingesperrt, bevor das Nauru Regional Processing Centre (2015) und das Manus Island Regional Processing Centre (2016) in offene Einrichtungen umgewandelt wurden.
Im April 2016 stellte der Oberste Gerichtshof von Papua-Neuguinea fest, dass die Haftbedingungen auf der Insel Manus das Recht auf Freiheit nach der Verfassung von Papua-Neuguinea verletzt haben. Die Umstände und Bedingungen für Flüchtlinge im Rahmen der australischen „offshore processing“-Politik hatten schwerwiegende negative Auswirkungen auf die Gesundheit, insbesondere auf die psychische Gesundheit der Schutzsuchenden. Im Jahr 2016 stellte UNHCR fest, dass die Gesamtraten von Depressionen, Ängsten und Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) bei Flüchtlingen, die zwangsweise nach Papua-Neuguinea und Nauru transferiert wurden, mit über 80% an beiden Orten die bisher höchsten in der medizinischen Literatur waren.
Die Regierung Australiens beauftragt derzeit International Health and Medical Services (IHMS) mit der Erbringung minimaler Gesundheitsdienstleistungen für Flüchtlinge und Asylsuchende in Nauru und Pacific International Hospital in Papua-Neuguinea.
Die jeweiligen lokalen Gesundheitssysteme, auf die sich die meisten Flüchtlinge verlassen müssen, sind in beiden Ländern unterfinanziert und mit zu wenigen Mitteln und Personal ausgestattet. Folter- und Traumaberatungsangebote wurden auf Manus Island nach dem Rückzug der Regierung Australiens im Oktober 2017 eingestellt. In Nauru gibt es Folter- und Trauma-Unterstützung nur für diejenigen, die vor ihrer Ankunft in Australien ein Trauma erlebt haben.
MSF International hat die medizinische Versorgung von NauruerInnen und Flüchtlingen am 6. Oktober 2018 eingestellt, gemäss einem Beschluss der Regierung von Nauru. MSF hatte zuvor die sofortige Evakuierung aller Flüchtlinge und Asylsuchenden aus Nauru gefordert und von mindestens 78 Fällen von Selbstmordversuchen, Selbstmordgedanken und Selbstverletzung ihrer PatientInnen in Nauru in den letzten elf Monaten gesprochen.
Die australische Regierung erklärte im Mai 2018, dass bis zum 30. Juni 2017 494 Menschen aus medizinischen Gründen aus Papua-Neuguinea und Nauru nach Australien gebracht wurden. Viele von ihnen leiden unter den anhaltenden negativen Auswirkungen des „offshore processing“. Einige wurden nach ihrer medizinischen Versorgung in Australien erneut in geschlossenen Einrichtungen festgehalten, was bei schlechter psychischer Gesundheit besonders schädlich ist. Die derzeitigen Regelungen bieten ihnen keine langfristige Lösung in Australien an. Es besteht die Sorge, in Zukunft nach Nauru oder Papua-Neuguinea zurückgeschickt zu werden. Sie leben mit der anhaltenden Gefahr, an den Ort zurückzukehren, an dem sie jahrelang festgehalten wurden und an dem es an angemessenen Unterstützungsleistungen und langfristigen Lösungen mangelt.
Im Rahmen einer im November 2016 angekündigten bilateralen Vereinbarung zwischen Australien und den Vereinigten Staaten von Amerika werden voraussichtlich 1.250 Flüchtlinge aus Nauru und Papua-Neuguinea in die Vereinigten Staaten umgesiedelt.