„Die schönsten Momente sind für mich die, in denen unsere Arbeit ein Gesicht bekommt.“

Natalie arbeitet in Aden, Jemen und informiert die Öffentlichkeit und die Geber über die Situation im Land und die Arbeit von UNHCR.

Name:  Natalie Schmidthäussler, 32, Wiesbaden

Einsatzort: Aden, Jemen

Position: Associate External Relations Officer

Bei UNHCR seit: 2015 (mit 18 Monaten Unterbrechung als JPO bei OCHA)

Warum hast du dich für einen Job bei UNHCR entschieden?

Die Tatsache, dass ich jetzt für den UNHCR arbeite, hat sicherlich mit meiner Familiengeschichte zu tun: Meine Großeltern sind Anfang der 1950er Jahre aus China geflohen. In Brasilien haben sie Sicherheit gefunden und sich ein neues Leben aufgebaut, doch der unfreiwillige Verlust der Heimat hat sie ihr Leben lang begleitet. Meine Mutter, selbst in China geboren und in Brasilien aufgewachsen, kam nach ihrem Studium nach Deutschland –  allerdings nicht als Flüchtling, sondern wegen der Liebe. Flucht und Migration sind daher Teil meiner Familiengeschichte und schon immer allgegenwärtig. Während meines Studiums habe ich mich weiter mit dem Thema beschäftigt und auch einige Monate in Thailand an einer Schule mit Flüchtlingen aus Myanmar gearbeitet. Ich bin mit dem Wissen aufgewachsen, dass jede/r eines Tages zum Flüchtling werden könnte. Meine Großeltern haben niemals damit gerechnet, in Brasilien ein neues Leben aufbauen zu müssen. Der Wunsch, in der humanitären Hilfe und speziell beim UNHCR zu arbeiten, erscheint mir in gewisser Weise naheliegend. Und trotz der vielen Komplikationen, die das Arbeiten weit weg von Freunden und Familie, nicht selten in Krisengebieten, mit sich bringt, kann ich mir keine bessere Arbeit vorstellen.

Was macht UNHCR im Jemen, vor allem im Süden des Landes? 

UNHCR ist bereits seit über dreißig Jahren im Jemen und leistet sowohl Nothilfe zum Schutz von Binnenvertriebenen, als auch Flüchtlingen und Asylsuchenden. Seit der Eskalation des Konflikts vor drei Jahren hat UNHCR seine Präsenz im Jemen deutlich ausgeweitet, um auf die zunehmende Not der Zivilbevölkerung zu reagieren.  Über 22 Millionen Menschen sind auf Hilfe angewiesen, die Tendenz ist steigend. Alle Konfliktparteien verstoßen gegen internationales Völkerrecht, dazu zählen auch Angriffe auf die zivile Infrastruktur. Hinzu kommen die immensen wirtschaftlichen Probleme im Land sowie der Zusammenbruch staatlicher Dienstleistungen. Die UN und unsere Partner versuchen, diese Lücken zu füllen, doch geht dies über unsere Kapazitäten hinaus. Ohne humanitäre Hilfe könnten viele Menschen im Jemen nicht überleben. Trotz des Konflikts und der dramatischen humanitären Lage im Land haben alleine im letzten Jahr 87.000 Migranten, Flüchtlinge und Asylsuchende ihr Leben riskiert, um im Jemen Schutz zu suchen. Die meisten von ihnen stammen aus Somalia. Wenn sie sich auf den Weg machen, wissen viele nicht, wie prekär die Lage im Jemen ist. Wir beobachten mit Sorge, dass sich die Lage der Neuankömmlinge zunehmend verschlechtert und Berichte von Erpressung, Inhaftierung, Misshandlungen und erzwungener Rückführung zunehmen. Hinzu kommen über zwei Millionen Binnenvertriebene und etwa eine Million Rückkehrer, die auf Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen sind. Der Bedarf ist wesentlich höher als unsere finanziellen Mittel. UNHCR unterstützt unter anderem die medizinische Versorgung für Flüchtlinge, Asylsuchende und bedürftige Jemeniten, bietet Rechtsberatung und psychosoziale Beratung an, unterstützt Schulen und außerschulische Bildungsangebote, verteilt Hilfsgüter und Notunterkünfte. Wir helfen zudem Opfern sexueller and geschlechtsspezifischer Gewalt. Leider beobachten wir, dass diese Fälle zunehmen. Der wachsende Druck, Perspektivlosigkeit und Arbeitslosigkeit des männlichen Familienoberhauptes sowie mangelnde Rechtsstaatlichkeit tragen dazu bei, dass Spannungen und Gewalt in der Familie zunehmen. Angesichts des immensen Bedarfs haben wir unsere Bargeldhilfe ausgeweitet, um mehr Menschen in Not zu erreichen. Viele Binnenvertriebene und Rückkehrer leben in zerstörten Unterkünften oder unter extrem prekären Bedingungen. Unser Büro in Aden unterstützt daher besonders bedürftige Familie bei der Reparatur oder Instandsetzung ihrer Unterkünfte. Ein neues Dach oder eine reparierte Tür bedeutet ein Zugewinn an Privatsphäre, Sicherheit und Schutz vor dem harschen Klima. UNHCR arbeitet auch daran, die Eigenständigkeit derjenigen zu stärken, die momentan auf Hilfe angewiesen sind. Und wir versuchen, dauerhafte Lösungen zu finden. Dazu gehört auch ein freiwilliges Rückkehrprogramm für somalische Flüchtlinge, welches wir letztes Jahr begonnen haben.  Angesichts der sich zunehmend verschlechternden Sicherheitslage im Land haben wir beobachtet, dass viele somalische Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren möchten. UNHCR unterstützt sie dabei. Dazu gehört nicht nur der Transport im Land und per Schiff bis nach Somalia und weiter an den Zielort, sondern auch eine ausführliche Beratung, Dokumentation und ein umfangreiches Hilfspaket, das ihnen den Start in der Heimat erleichtern soll.

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Natalie und ihr Kollege führen Interviews mit Binnenvertriebenen aus Al Khawkhah, Khataba durch, die in einer Sammelunterkunft in al-Buraiqa, Aden Zuflucht gesucht haben. © UNHCR/Dheya Almeyoni

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Am Strand Foqom, Aden. In der Nähe haben sich viele Fischer niedergelassen, die vor den Kämpfen an der Westküste geflohen sind, in der Hoffnung hier weiter vom Fischfang leben zu können. © UNHCR/Bakil Aljaberi

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Jawhir, 22 Jahre, wartet im Hafen von Aden darauf, dass sie zusammen mit über 120 anderen somalischen Rückkehrern ein von UNHCR organisiertes Schiff besteigen, dass sie zurück in ihre Heimat bringt. © UNHCR Yemen

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Interview mit Hayat, 10 Jahre. Sie ist im Jemen geboren und warten im Hafen von Aden darauf, mit ihrem Vater nach Somalia zurückzukehren. © UNHCR Yemen

 

Wie sieht ein normaler Arbeitstag von dir aus?

Unser Büro in Aden ist ein Sub-Office und steuert Maßnahmen, die UNHCR im Süden des Landes umsetzt. Ich verbringe viel Zeit im Büro und schreibe Berichte, Updates und Fact Sheets, welche die Öffentlichkeit, unsere Geber und auch Kollegen über unsere Arbeit informieren. Dazu befrage ich ständig meine Kollegen, die für die Umsetzung der Nothilfemaßnahmen verantwortlich sind, um ein klares Bild der Situation zu bekommen. Des Weiteren führe ich Interviews mit Flüchtlingen, Binnenvertriebenen und Rückkehrern und trage dazu bei, dass ihre Geschichten gehört werden, zudem bin ich Ansprechpartnerin für Journalisten, die nach Aden kommen – leider ist dies momentan eher selten der Fall. Darüber hinaus unterstütze ich den Bereich Fundraising, was das Schreiben von Förderanträgen, und Berichten umfasst, und sorge dafür, dass unsere wichtigsten Geber in unseren Projekten sichbar gemacht werden. Schliesslich bin ich noch für den Bereich „Communication with Communities“ zuständig. Dabei geht es darum, wie wir unsere Botschaften an die Betroffenen am effektivsten kommunizieren, aber auch, und das ist mindestens genauso wichtig, dass wir den Betroffenen zuhören und verstehen, welche Informationsbedürfnisse sie haben, welche Kommunikationskanäle sie nutzen und welchen Quellen sie vertrauen, um Ihnen so eine maßgebliche Mitsprache zu ermöglichen.

Was sind die größten Herausforderungen in deiner täglichen Arbeit?

Als humanitäre Helfer können wir lediglich auf die sich stetig verschlechternde Lage reagieren, indem wir lebensrettende Hilfe leisten. Was wir wirklich benötigen, ist eine politische Lösung des Konfliktes. Zivilisten zahlen den Preis in diesem Konflikt und die Opferzahlen steigen kontinuierlich an. Es gibt bereits tausende Tote und eine Vielzahl Verletzte zu beklagen. Hinzu kommt immer wieder neue Vertreibung, vor allem in den Frontgebieten.

„Unsere Arbeit wird durch die unvorhersehbare und instabile Sicherheitslage deutlich erschwert. Es gilt immer wieder abzuwägen zwischen lebensrettender Nothilfe und der Sicherheit der eigenen Mitarbeiter und Partner.“

Unsere Arbeit wird durch die unvorhersehbare und instabile Sicherheitslage deutlich erschwert. Es gilt immer wieder abzuwägen zwischen lebensrettender Nothilfe und der Sicherheit der eigenen Mitarbeiter und Partner. Hinzu kommt das enorme Ausmaß der Notlage. Solange keine politische Lösung gefunden ist, muss zumindest sichergestellt werden, dass humanitäre Organisationen Hilfe leisten können, wo der Bedarf am größten ist und dass lebensnotwendige Güter in den Jemen geliefert werden können. Die verschlechterte Sicherheitslage hat für uns zur Folge, dass unsere Arbeit noch schwieriger wird. Für meinen Arbeitsbereich bedeutet dies auch, dass kaum internationale Medienvertreter in den Jemen kommen und es somit schwierig ist, Aufmerksamkeit für die Situation der Menschen hier zu schaffen. Dabei handelt es sich um die größte humanitäre Krise weltweit, die eigentlich viel präsenter sein müsste.

Was war dein bisher schönster Moment bei UNHCR?

Die schönsten Momente sind für mich die, in denen unsere Arbeit ein Gesicht bekommt. Das geschieht zum Beispiel, wenn ich Menschen, denen UNHCR im Jemen helfen konnte, interviewe und ihre Geschichten hören darf. Mir ist zum Beispiel Zahra gut in Erinnerung geblieben, die mit ihren acht Kindern vor den Kämpfen an Jemens Westküste nach Aden geflohen ist. Die Familie wollte ihr Dorf lange nicht verlassen, doch irgendwann sahen sie sich gezwungen zu gehen. Ihr Mann, der als Lehrer arbeitete, hatte schon seit Monaten kein Gehalt mehr bekommen. Dann wurden zwei von Zahras Cousinen Opfer eines Luftangriffs. Hinzu kam die ständige Angst, ihre Söhne könnten zwangsrekrutiert werden, so wie es vielen Jugendlichen in ihrem Dorf bereits ergangen war. Als dann auch noch ihr Haus bei einem Luftangriff getroffen wurde, entschied die Familie noch am gleichen Tag zu fliehen. In Aden wohnen sie in einer von UNHCR bereitgestellten Notunterkunft. Auch wenn es ihnen an vielem fehlte, war Zahra vor allem erleichtert, dass ihre Kinder ein Dach über dem Kopf haben und sie nachts keine Angst mehr vor Luftangriffen haben mussten. Es ist schön zu sehen, wenn UNHCR dazu beitragen kann, dass Menschen Schutz und Sicherheit finden.

„Die schönsten Momente sind für mich die, in denen unsere Arbeit ein Gesicht bekommt.“

Ich erinnere mich auch gut an Abdi, einen somalischen Flüchtling, der unter den ersten Rückkehrern nach Somalia war. Nach Jahren im Jemen und einer sich zunehmend verschlechternden Sicherheitssituation hatte er sich entschieden, nach Somalia zurückzukehren, um dort zu studieren und Arzt zu werden. Dank des Rückkehrprogramms musste Abdi nicht auf Schmuggler zurückgreifen, um über das Meer nach Somalia zu gelangen, sondern konnte mit einem von IOM und UNHCR gecharterten Schiff fahren und Starthilfe bekommen, um in seiner alten Heimat wieder Fuß zu fassen.

 

UNHCR ist in 128 Ländern auf der ganzen Welt aktiv, in großen Städten oder abgelegenen und oft gefährlichen Orten. Gemeinsam arbeiten die Mitarbeiter von UNHCR, um vertriebenen Menschen auf der ganzen Welt zu helfen. Rund 88 Prozent arbeiten im Feld und helfen den Schutzbedürftigen unmittelbar vor Ort. Darunter auch einige Deutsche. Dieses Portrait ist Teil einer Interviewreihe, die deutsche MitarbeiterInnen und ihre Arbeit beim UNHCR vorstellt.