Ohne internationale Solidarität könnte die Vertreibungskrise in der Ukraine zu einer Katastrophe werden
Ohne internationale Solidarität könnte die Vertreibungskrise in der Ukraine zu einer Katastrophe werden
Seit 24. Februar müssen Millionen Menschen den Horror des Krieges in der Ukraine durchleben. Innerhalb eines Monats haben unzählige Zivilist*innen ihr Leben verloren, und Tausende wurden verletzt. Familien wurden auseinandergerissen. Ohne eine sofortige Beendigung der Kämpfe werden dieses unsägliche Leid und die Massenvertreibung von Menschen nur noch schlimmer werden.
Fast ein Viertel der ukrainischen Bevölkerung, mehr als 10 Millionen Menschen, wurde bereits vertrieben. Etwa 3,7 Millionen Menschen mussten aus dem Land fliehen - das ist die am schnellsten wachsende Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg.
Weitere 6,5 Millionen Menschen wurden innerhalb der Ukraine vertrieben, und schätzungsweise mindestens 13 Millionen Menschen sitzen in den betroffenen Gebieten fest oder sind aufgrund der Sicherheitslage, zerstörter Brücken und Straßen sowie fehlender Ressourcen oder Informationen darüber, wo sie Sicherheit und Unterkunft finden können, nicht in der Lage, diese zu verlassen.
Hinter diesen Zahlen verbirgt sich unvorstellbares Leid, das noch weiter zunimmt, während auch der Bedarf an humanitärer Hilfe immer größer wird. Intensive Kämpfe führen weiterhin zu massiven Vertreibungen und verschlimmern gleichzeitig die Not der Binnenvertriebenen oder derjenigen, die aus den am stärksten betroffenen Gebieten nicht fliehen können.
Häuser, Schulen, Krankenhäuser, wichtige Versorgungseinrichtungen und andere zivile Infrastruktur wurden zerstört, so dass manche Menschen nur noch Regenwasser und geschmolzenen Schnee trinken können, die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten ist unterbrochen. Innerhalb der Ukraine ist die Schaffung sicherer Korridore und ausreichender Sicherheitsgarantien für die Evakuierung der Zivilbevölkerung nach wie vor ein dringendes Problem. Auch die Lieferung lebensrettender Hilfsgüter bleibt gefährlich und schwierig.
UNHCR ist seit 30 Jahren in der Ukraine tätig und wir werden sie nicht verlassen. Wann und wo immer es möglich ist, unterstützen wir an der Seite und in Abstimmung mit anderen UN-Organisationen, dem Internationen Komitee vom Roten Kreuz und NGOs die Bemühungen der ukrainischen Behörden, indem wir Notunterkünfte, Bargeld, wichtige Hilfsgüter - von Decken und Hygienesets bis hin zu Klappbetten und Schlafsäcken - und andere wichtige Dienstleistungen für die Geflüchteten bereitstellen. Wir beteiligen uns an humanitären Konvois für die Menschen in schwer zugänglichen Gebieten und werden dies auch weiterhin tun.
Außerhalb der Ukraine haben wir unsere Teams verstärkt und unsere humanitäre Hilfe aufgestockt, um die Regierungen der Länder, die Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen, bei der Bereitstellung wichtiger humanitärer Hilfe und Schutzmaßnahmen zu unterstützen und den Behörden dabei zu helfen, ihre Kapazitäten zur Aufnahme der Neuankömmlinge zu verbessern. Der herzliche Empfang und die gut organisierte Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge war außergewöhnlich und verdient Anerkennung und Dankbarkeit.
UNHCR hat jedoch auch auf Schutzrisiken für bestimmte Gruppen von Geflüchteten hingewiesen, die uns große Sorgen bereiten. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Maßnahmen ergriffen werden, um die Risiken von geschlechtsspezifischer Gewalt, Ausbeutung, Missbrauch und Handel mit Frauen und Mädchen schnell zu erkennen, zu mindern und darauf zu reagieren.
Wir sind uns auch bewusst, dass unbegleitete und von ihren Familien getrennte Kinder sowie LGBTIQ+ -Flüchtlinge, ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen auf der Flucht besondere Bedürfnisse haben und einem größeren Risiko ausgesetzt sein könnten.
Tausende von Drittstaatsangehörigen sind zusammen mit ukrainischen Staatsangehörigen vor dem Krieg geflohen, darunter einige, die internationalen Schutz benötigen oder von Staatenlosigkeit bedroht sind. Viele haben sich in Sicherheit gebracht oder sind in ihre Heimatländer zurückgekehrt, doch gibt es immer wieder Berichte über ungleiche oder diskriminierende Behandlung.
Selbst ein einziger Fall von Rassismus oder Diskriminierung, der jemanden daran hindert, vor Gewalt zu fliehen oder Asyl und Sicherheit zu erhalten, ist ein Fall zu viel. Wir werden weiterhin mit den Behörden in der Ukraine und in den Nachbarländern zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass allen, die vor der Gewalt und der Tragödie des Krieges in der Ukraine fliehen, die gleiche Sicherheit und der gleiche Schutz geboten wird.
Ich bin dankbar, dass die Nachbarländer ihre Grenzen offen gehalten haben, und ich begrüße die beispiellose Entscheidung der Europäischen Union, vorübergehenden Schutz anzubieten. Ich bin auch voller Demut über das außerordentliche Mitgefühl, das die Helfer*innen vor Ort und die weltweiten Unterstützer*innen zeigen, wenn sie den Menschen, die vor dem Konflikt fliehen, mit Unterkünften, Transportmitteln, Lebensmitteln sowie Geld- und Sachspenden helfen. Die Unterstützung und Solidarität, die die Staaten und Menschen in ganz Europa und auf der ganzen Welt gezeigt haben, ist unglaublich ermutigend.
Dieses Maß an Solidarität sollte beispielgebend für alle Flüchtlingskrisen sein. Auch wenn sich die Krise in der Ukraine verschärft, dürfen wir nicht die Millionen weiterer Kinder, Frauen und Männer vergessen, die durch Konflikte, Verfolgung, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen vertrieben wurden. In vielen anderen Regionen der Welt - viel zu vielen - ist die Verwüstung, die Millionen von Unschuldigen zugefügt wird, nicht weniger real und nicht weniger grausam. Das Recht, Asyl zu suchen und zu erhalten, ist universell. Es ist nicht abhängig von der Hautfarbe, dem Alter, dem Geschlecht, dem Glauben oder dem Geburtsort. Die Achtung der Flüchtlingsrechte ist nicht auslegbar oder verhandelbar.
Diese Krise wird uns sehr fordern. Die Kapazitäten der Nachbarländer zur Aufnahme von Flüchtlingen sind bereits jetzt überlastet. Ein langwieriger Konflikt, der durch die brutale Missachtung des humanitären Völkerrechts gekennzeichnet ist, die wir im letzten Monat beobachten mussten, kann weitere Millionen Menschen töten, terrorisieren und vertreiben. Die einzige Möglichkeit, diese Krise zu lösen, ist das Ende des Krieges. Doch während die Zahl der Flüchtenden weiter steigt, brauchen und verdienen sowohl sie als auch die Menschen, die sie aufnehmen, unsere Unterstützung.
Es wird noch mehr Hilfe brauchen - für die Staaten, für die Flüchtlinge, für die lokale Bevölkerung - und ich fordere die internationale Gemeinschaft auf, dafür zu sorgen, dass diese Unterstützung geleistet wird.
Der Krieg in der Ukraine hat enormes Leid verursacht, aber auch zu zu einem großen Maß an Mut, Großzügigkeit und Mitgefühl inspiriert. Wenn wir verhindern wollen, dass sich diese Krise zu einer Katastrophe ausweitet, müssen wir den unschuldigen Opfern weiterhin Unterstützung gewähren.