Kein Reiseverbot für vorläufig aufgenommene Personen: UNHCR plädiert für verhältnismässige Regelung
Kein Reiseverbot für vorläufig aufgenommene Personen: UNHCR plädiert für verhältnismässige Regelung
Bereits heute dürfen vorläufig aufgenommene Personen nur dann ins Ausland reisen, wenn das Staatssekretariat für Migration (SEM) dies bewilligt. Eine Bewilligung wird nur unter bestimmten strengen Voraussetzungen erteilt. Mit der geplanten Gesetzesänderung würden vorläufig aufgenommenen Personen Auslandsreisen grundsätzlich untersagt – auch Reisen in Nachbarländer. Bewilligt würden solche Reisen nur noch, wenn «besondere persönliche Gründe» vorliegen. Diese will der Bundesrat auf Verordnungsstufe konkretisieren.
Aus Sicht von UNHCR ist die geplante Regelung völker- und verfassungsrechtlich bedenklich. Das Recht jeder Person auf Reisefreiheit ist Bestandteil des Menschenrechts auf Bewegungsfreiheit. Grundrechte können nur unter bestimmten Voraussetzungen und im Einzelfall beschränkt werden. Gemäss der Bundesverfassung muss eine Einschränkung durch ein öffentliches Interesse oder den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sowie verhältnismässig sein. Diese Voraussetzungen erfüllt der Gesetzesentwurf nicht. Mit der Festschreibung eines Reiseverbots als Regelfall wird das Verbot eines Grundrechts zur Regel und dessen Gewährung zur Ausnahme gemacht.
Der Schutzbedarf von vorläufig aufgenommenen Personen ist in der Regel von derselben Art und Dauer wie jener von Flüchtlingen gemäss der Genfer Flüchtlingskonvention. Viele von ihnen kommen aus Ländern mit Konflikten, die Jahre oder Jahrzehnte andauern, beispielsweise aus Afghanistan oder Syrien. Die Schutzbedürftigen bleiben deshalb längerfristig im Aufnahmeland. Die geplante Regelung hätte für die Betroffenen schwerwiegende Folgen.
So könnte etwa ein vorläufig aufgenommener Syrer seine Schwester in Deutschland nicht ohne «besondere persönliche Gründe» besuchen. Flucht und Verfolgung führen häufig dazu, dass Familien auseinandergerissen werden und Familienmitglieder in verschiedenen Staaten Zuflucht finden. Viele vorläufig aufgenommene Personen haben Verwandte und Freunde in anderen Staaten, häufig auch enge Familienangehörige. Familiäre Beziehungen können oft nur durch Besuche aufrechterhalten werden. Dies zu unterbinden, hätte grossen Einfluss auf das Wohlbefinden der Betroffenen und damit auch negative Auswirkungen auf ihre Integrationsfähigkeit.
UNHCR empfiehlt daher, Personen mit vorläufiger Aufnahme grundsätzlich Reisefreiheit zu gewähren, wie dies den menschenrechtlichen Vorgaben und auch der Praxis in allen EU-Staaten entspricht. Einschränkungen sollten nur im Einzelfall und im Einklang mit den menschenrechtlichen Bestimmungen vorgenommen werden. Hält das Parlament am grundsätzlichen Verbot fest, müssen Ausnahmen zur Wahrung menschenrechtlich geschützter Rechte möglich sein. Die persönlichen Gründe für eine Bewilligung sollten dabei bereits auf Gesetzesstufe und nicht erst auf Verordnungsstufe konkretisiert werden.
Die Motion, welche die Gesetzesarbeiten ausgelöst hat, forderte strengere Bestimmungen für Reisen ins Herkunftsland. Solche Reisen sollen gemäss dem Gesetzesentwurf vorläufig aufgenommenen Personen fast vollständig untersagt werden. Anders als ein allgemeines Reiseverbot kann ein Verbot von Reisen in den Herkunftsstaat gerechtfertigt sein. Auch hier sind jedoch die völkerrechtlichen Bestimmungen einzuhalten. UNHCR empfiehlt, Reisen ins Herkunftsland in begründeten Einzelfällen weiterhin zuzulassen.
Neben den Bestimmungen zu Auslandsreisen enthält der Gesetzesentwurf weitere Änderungen für vorläufig aufgenommene Personen. Darunter befinden sich einige begrüssenswerte Verbesserungen. So sollen vorläufig aufgenommene Personen den Kanton wechseln können, wenn sie in einem anderen Kanton eine Arbeitsstelle haben. Die Voraussetzungen sind jedoch eng gefasst. UNHCR empfiehlt dem Parlament, in diesem Punkt weiterzugehen und die Voraussetzungen für den Kantonswechsel für vorläufig aufgenommene Personen jenen für Flüchtlinge mit Asyl oder für Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung anzugleichen.
Bedauerlich ist, dass auf eine umfassende Reform der vorläufigen Aufnahme verzichtet wurde. UNHCR hatte entsprechende Bestrebungen unterstützt, namentlich für eine weniger missverständliche Bezeichnung des Status der vorläufigen Aufnahme und für eine wesentliche Erleichterung der Arbeitsmarktintegration. UNHCR hofft, dass das Parlament wenigstens eine andere Bezeichnung beschliesst und zu einem späteren Zeitpunkt eine umfassende Reform in Angriff nimmt.
Die ausführliche Stellungnahme finden Sie in der Beilage.