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Unsichere Lage für Flüchtlingskinder auf Lesbos

Medienmitteilungen

Unsichere Lage für Flüchtlingskinder auf Lesbos

14 Oktober 2019 Auch verfügbar auf:
70 Jahre nach der Verabschiedung der Genfer Flüchtlingskonvention steht der internationale Flüchtlingsschutz unter Druck wie selten zuvor.Dieses Thema wird im Mittelpunkt des nächsten Schweizer Asylsymposiums stehen. © UNHCR/Gordon Welters

Zemar* war erst 15 Jahre alt, als er vergangenen Monat aus Afghanistan im Aufnahmezentrum Moria auf Lesbos ankam. Er hatte eine Reihe traumatischer Erfahrungen hinter sich und wurde von seinen Eltern getrennt. Nach seiner Ankunft auf Lesbos hätte er vor allem Ruhe und Schutz gebraucht. Doch das hat er in Moria nicht gefunden.

In der ersten Nacht im Lager stahlen Diebe seine Tasche. Dieser Verlust verstärkte Zemars Gefühl der Einsamkeit. „Sie haben alles genommen“, sagt er. „Ich hatte niemanden, mit dem ich reden konnte.“

Einige Nächte später wurde er von drei Männern angegriffen. Er wachte auf, setzte sich gegen die Angreifer zur Wehr und floh zu einer Polizeipatrouille am Haupteingang von Moria. Er habe die Nacht daraufhin auf dem Bürgersteig verbracht, wo es zumindest sicher war. Da es keinen Dolmetscher gab, konnte er den Polizisten nicht einmal erklären, was passiert war.

Die Bedingungen im Flüchtlingscamp Moria haben sich zunehmend verschlechtert. 12.800 Menschen leben in Containern und Zelten im Lager und auf einem angrenzenden Olivenhain – das entspricht der fünffachen Zahl an BewohnerInnen, für die das Aufnahmezentrum ursprünglich ausgelegt war.

Fast 1.000 Kinder, die meisten davon Jugendliche, leben in Moria ohne ihre Eltern oder Verwandte. Die Hälfte der Kinder und Jugendlichen ist in vier geschützten Bereichen und einer Sicherheitszone untergebracht. Der Rest schläft in einem zeltähnlichen Lagerhaus, in dem auch erwachsene Asylsuchende untergebracht sind.

Die europäischen Staaten müssen ihre Bemühungen zum Schutz von Flüchtlingskindern verstärken. Diese haben oftmals nicht nur eine gefährliche Reise hinter sich, sondern sind auch in Europa Risiken und Schwierigkeiten ausgesetzt, wie UNHCR vor Kurzem in einem Bericht festhielt. Gefahren ergeben sich vor allem aus der Unterbringung in unsicheren Unterkünften, der falschen Registrierung als Erwachsene oder unzulänglicher Hilfsleistungen.

Auf den griechischen Ägäis-Inseln leben mehr als 1.600 unbegleitete Kinder in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen wie Moria.

Im Registrierungslager von Vathy, einer Kleinstadt auf der Insel Samos, schlafen über ein Dutzend unbegleiteter Mädchen abwechselnd in einem kleinen Container, während andere Kinder auf Containerdächern schlafen. Unbegleitete Kinder leben oft monatelang unter gefährlichen Bedingungen, während sie auf eine Verlegung in andere Unterkünfte warten. Diese Umstände belasten die Kinder sehr stark.

„Mutter? Vater? Wo seid ihr?“

 

„Wir alle fühlen uns nutzlos... Ich habe so viel Stress. Ich leide unter Gedächtnisverlust. Jedes Mal, wenn ich schlafe, habe ich Albträume. Ich will nur meine Familie wiedersehen“, sagt Zemar.

Die Zahl der Kinder, die ohne ihre Eltern in Griechenland Asyl suchen, ist auf über 4.600 gestiegen - der höchste Stand seit 2016. Nur jede(r) Vierte wohnt in altersgerechten Unterkünften und mehr als 1.000 sind obdachlos oder wohnen in besetzten Häusern.

UNHCR hat die Forderung an Griechenland, unbegleitete Kinder zu schützen, abermals verstärkt. Die Organisation hat an die europäischen Staaten appelliert, es zu einer Priorität zu machen, Plätze für ihre Umsiedlung zu schaffen und die Familienzusammenführung zu beschleunigen.

Zemar*, 15, wurde auf der Flucht von Afghanistan nach Lesbos von seinen Eltern getrennt. Er lebt im Aufnahmezentrum Moria. © UNHCR/Gordon Welters

„Die Situation in Moria ist besorgniserregend und die Risiken für unbegleitete Kinder sind sehr hoch“, sagt Philippe Leclerc, UNHCR-Vertreter in Griechenland. „Die griechische Regierung muss gemeinsam mit der Unterstützung der Europäischen Staaten dringend Massnahmen ergreifen, um den Schutz dieser Kinder zu gewährleisten.“

Zemar ist mit seiner Familie aus Afghanistan geflüchtet, nachdem die Taliban seinen älteren Bruder wegen der Zusammenarbeit mit den afghanischen Behörden getötet hatten. Er wurde von seinen Eltern an einem türkischen Strand getrennt, als Schmuggler sie und eine Gruppe von 50 anderen Personen mitten in der Nacht in ein Schlauchboot nach Lesbos zwangen. Einige konnten nicht schnell genug einsteigen und wurden zurückgelassen.

„Mutter? Vater? Wo seid ihr?“, schrie Zemar in der Dunkelheit, aber es kam keine Antwort.

Am Morgen nachdem Zemar im Schlaf angegriffen wurde, fand er mit der Hilfe des UNHCR-Partners METAdrasi einen Platz in einem der gesicherten Bereiche für unbegleitete Kinder in Abschnitt A, wo 150 Jungen aus Afghanistan und Syrien untergebracht sind.

„Abschnitt A ist besser, aber die Jungs werden wütend“, meint Zemar. „Manchmal kämpfen sie. Wenn sie mich sehen, belästigen sie mich. Gestern Abend gab es einen Messerkampf und ein Junge wurde verletzt", sagt er.

Jungen aus Afghanistan und Syrien leben in Schiffscontainern, die zu Unterkünften umfunktioniert wurden. In einem Container werden in Abschnitt A des Aufnahmezentrums Moria bis zu 20 Personen gleichzeitig untergebracht. © UNHCR/Gordon Welters

Diese Spannungen gehören zum Alltag im Lager. Im August stach ein afghanischer Junge bei einem Kampf in der Sicherheitszone auf einen anderen ein und tötete ihn.

Zemar hofft, bald Kontakt mit seinen Eltern aufnehmen zu können. Qasim* hingegen verlor den Kontakt zu seinen Eltern, nachdem er vor dem Islamischen Staat floh, als sie seine Heimatstadt Deir ez-Zor in Syrien einnahmen.

Qasim, der ebenfalls von den Behörden in Abschnitt A untergebracht wurde, ist 14 Jahre alt und von den Strapazen und dem Aufenthalt in Moria erschöpft.

„Ich will mich nur ausruhen, in Sicherheit sein und zur Schule gehen“, sagt Qasim, der bereits einen Antrag auf Familienzusammenführung mit seinem in Deutschland lebenden Bruder gestellt hat.

Er hat einige Schuljahre versäumt und will unbedingt wieder mit Gleichaltrigen in einem Klassenzimmer sein. „In Syrien bin ich nur drei Jahre lang in die Schule gegangen. Es war eine gute Schule, aber sie wurde von Bomben zerstört und wir konnten nicht mehr zur Schule gehen“, erzählt er.

Trotz ihrer schwierigen Lage sind Qasim und Zemar froh, in einem der relativ geschützten Bereiche des Lagerns untergebracht zu sein, statt gemeinsam mit erwachsenen Flüchtlingen oder auf der Strasse leben zu müssen.

„Europäische Länder haben Superkräfte. Sie sollten etwas wegen der Situation in Moria unternehmen“, sagt Zemar.

 

* Die Namen wurden aus Schutzgründen geändert.