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Als Psychologin an der Front: Von Hoffnung und Mut

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Als Psychologin an der Front: Von Hoffnung und Mut

Wie psychosoziale Unterstützung Menschen in der Ukraine hilft, ihr Leben wiederaufzubauen
15. Oktober 2025
Psychologin Iryna bei der Arbeit

Psychologin Iryna bei der Arbeit

Der Krieg in der Ukraine begann auch für Iryna nicht vor drei Jahren, sondern schon 2014. Damals musste sie ihre Heimatstadt Donezk im Osten der Ukraine verlassen und in einen Teil der Region ziehen, der unter ukrainischer Kontrolle blieb.

Als Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine musste sie 2022 dann erneut fliehen. Sie fand Zuflucht in Dnipro, einer Stadt, die zu einem wichtigen Anlaufpunkt für viele Vertriebene aus den Frontgebieten wurde.

Anstatt zu verzweifeln, entschied sich Iryna, zu handeln und sich für ihre Mitmenschen stark zu machen. Die Psychologin schloss sich Proliska, einer Partnerorganisation von UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, an. Heute unterstützt sie Menschen, die psychisch unter den Folgen des Krieges leiden.

„Ich wurde selbst zweimal vertrieben und weiß, wie es sich anfühlt, alles zurücklassen zu müssen“, sagt sie. „Es kann uns nur dann besser gehen, wenn wir anderen helfen. Wenn man offen miteinander spricht, entsteht Vertrauen. Ich verstehe die Menschen und sie verstehen mich. Das hilft ihnen, sich zu öffnen.“

Hilfe an der Front

Iryna und ihre Mitarbeitenden arbeitet in mobilen Teams, die Gemeinden nahe der Front besuchen. Oft trifft sie dort Menschen, die gerade einen Angriff überlebt haben und die noch in einem Zustand von Schock oder Panik sind. Iryna und ihre Kolleginnen und Kollegen helfen ihnen, wieder Halt zu finden.

„Schock, Trauer, Angst und Schlaflosigkeit – das sehe ich jeden Tag“, erzählt sie.

Einmal begegnete sie einem Jungen, der mit seinen Eltern vier Tage lang in einem Keller ausharren musste, weil draußen geschossen wurde.

Iryna arbeitet mit Menschen, die in dem Transitzentrum Voloske angekommen sind.

Iryna arbeitet mit Menschen, die in dem Transitzentrum Voloske angekommen sind.

„Sie haben von ein paar Gurken und Wasser gelebt“, erinnert sich Iryna. „Als der Junge endlich herauskam, war er blass und zitterte. Er sprach kaum. Aber er malte: Er zeichnete die Leiter, mit der sie in den Keller gestiegen waren, und bildete seine Gefühle ab. Ich arbeite weiter mit ihm und seinen Eltern. Unser Ziel ist, ihnen Mut zu machen und Wege zu zeigen, wie sie wieder ins Leben zurückfinden können.“

Familien und ältere Menschen brauchen besondere Hilfe

Oft sind es Kinder, die als erstes Irynas Nähe suchen. Wenn sie sie sehen, nehmen viele ihre Hand oder umarmen sie.

„Manche suchen so die Zuwendung, die ihre Eltern in diesem Moment nicht geben können, weil sie selbst unter Schock stehen und erschöpft sind“, sagt Iryna. „Wir unterstützen die Eltern genauso wie die Kinder. Zum Beispiel mit Atemübungen, Gesprächen und einfachen Techniken, damit die Familie gemeinsam wieder zur Ruhe kommt.“

Auch ältere Menschen brauchen besondere Unterstützung. Viele leben allein, ihre Kinder sind geflohen oder leben im Ausland. Manche haben alles getan, um ihr Zuhause nicht verlassen zu müssen und sind unter den Letzten, die fliehen, wenn es nicht mehr anders geht.

„Evakuierung bedeutet nicht nur, den Ort zu wechseln“, sagt Iryna. „Es ist ein tiefer Einschnitt. Wir helfen den Menschen, den Verlust zu verarbeiten und wieder im Hier und Jetzt anzukommen.“

Millionen Menschen brauchen Unterstützung

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen brauchen rund zehn Millionen Menschen in der Ukraine psychologische Unterstützung.

Seit Beginn der Invasion haben UNHCR und sechs nationale Partnerorganisationen mehr als 300.000 Menschen psychologisch betreut, oft direkt nach Angriffen oder Evakuierungen.

Iryna spricht mit einer älteren Dame, die vertrieben wurde.

Iryna spricht mit einer älteren Dame, die vertrieben wurde.

„Unsere Teams erreichen jeden Monat Tausende Menschen“, erklärt Mariia Vlasenko, Fachberaterin für psychische Gesundheit bei UNHCR Ukraine. „Wir treffen sie in Transitzentren, in Evakuierungsbussen, in Gemeinschaftszentren und auch in Frontgebieten. Etwa die Hälfte unserer Arbeit sind Einzelgespräche, die andere Hälfte Gruppen- oder Familiensitzungen sowie kreative Aktivitäten für Kinder und Erwachsene.“

„Psychosoziale Unterstützung ist immer Teil eines größeren Ganzen. Wir bieten auch rechtliche Beratung, soziale Hilfe und die Vermittlung an spezialisierte Dienste. Die Bedürfnisse der Menschen sind komplex, und unser Ziel ist es, ihnen zu helfen, sich wieder zu finden und ihr Leben wieder aufzubauen.“

Hoffnung trotz aller Herausforderungen

Trotz der ständigen Gefahr arbeitet Iryna mit ruhiger Entschlossenheit weiter. Jedes kleine Zeichen von Besserung und Zuversicht erinnert sie daran, wie stark Menschen sein können.

„Das Wertvollste an meiner Arbeit ist nicht nur die Hilfe im Moment“, sagt sie. „Am schönsten ist es, wenn ich Menschen später wieder treffe: auf der Straße oder in einer neuen Stadt. Wenn sie mich erkennen und dann auf mich zukommen und erzählen, wie es ihnen geht. Das ist das größte Geschenk.“