Angriffe zwingen weiterhin Tausende zur Flucht aus Frontgebieten in der Ukraine
Angriffe zwingen weiterhin Tausende zur Flucht aus Frontgebieten in der Ukraine
Am 25. Dezember 2024 wurde ein Raketenangriff auf die Stadt Dnipro verübt, bei dem ein zehngeschossiges Gebäude, ein privates Wohnhaus, Bildungseinrichtungen, Rehabilitationszentren, Feuerwachen, zwei Gesundheitseinrichtungen sowie ein Verwaltungsgebäude und Teile der Energieinfrastruktur schwer beschädigt wurden.
Seit Mai 2024, als die Russische Föderation eine neue Offensive im Gebiet Charkiw startete, ordnen die ukrainischen Behörden regelmäßig verpflichtende Evakuierungen an – zuletzt auch im Gebiet Dnipropetrowsk, nur wenige Kilometer von der Front entfernt.
Allein in diesem Jahr mussten Schätzungen zufolge über 188.000 Menschen ihre Heimat verlassen. Viele von ihnen fliehen mit staatlich organisierten Transporten, andere mit Hilfe von NGOs oder auf eigene Faust.
Seit Jänner 2025 haben rund 24.000 Menschen sechs Transitzentren in vier Regionen durchlaufen, die von lokalen Behörden, UNHCR und Partnerorganisationen geführt werden. Dort erhalten sie Hilfe: eine Unterkunft, psychosoziale und rechtliche Beratung sowie Informationen zu längerfristigen Wohnmöglichkeiten.
„Dann wusste ich, dass wir sofort wegmüssen“
Mit zwei kleinen Kindern und schwanger mit ihrem dritten Kind zögerte die 20-jährige Viktoriia lange, ihre Heimat im Gebiet Dnipropetrowsk in der Ostukraine zu verlassen.
„Aber dann begann ein schwerer Angriff – etwa 20 Explosionen direkt in unserer Nähe. Da wurde mir klar: Wir müssen sofort weg. Mein Sohn war völlig verstört, er zuckte bei jedem Geräusch zusammen, selbst wenn in der Küche etwas herunterfiel. So schlimm war es bereits“, erzählt Viktoriia, deren Mann in der Armee dient.
Sie und ihre Kinder gehören zu den Zehntausenden Ukrainer*innen, die in den vergangenen Monaten durch die anhaltenden Angriffe entlang der mehr als 1.000 Kilometer langen Frontlinie von Nord nach Süd vertrieben wurden.
So nah wie möglich am Zuhause
Viele wollen nicht zu weit weg. Mehr als die Hälfte der im letzten Jahr Vertriebenen blieb laut IOM innerhalb ihrer eigenen Region.
Auch Viktoriia entschied sich für die Regionalhauptstadt Dnipro: „Es ist näher an Zuhause.“ Zunächst fand die Familie in einer Unterkunft für Vertriebene Zuflucht, erhielt das Nötigste für die ersten Tage. Über UNHCRs Partner Proliska bekam Viktoriia Zugang zu medizinischer Versorgung und Unterstützung bei Sozialleistungen.
Heute lebt die Familie in einer kleinen Mietwohnung. Doch es fehlt an vielem: selbst ein Kühlschrank ist nicht vorhanden, Geld ist knapp. Trotzdem versucht Viktoriia stark zu bleiben – vor allem für ihre Kinder.
Foto: Viktoriia spielt mit ihrem vierjährigen Sohn und ihrer zweijährigen Tochter im Park von Dnipro, wo die Familie derzeit lebt.
© UNHCR/Chadi Ouanes
„Wenn ich ständig weinen würde – was würde das mit meinen Kindern machen? Sie spüren alles. Und auch mein ungeborenes Baby spürt meine Gefühle“, sagt sie. „Natürlich gibt es Momente, da ist es so schwer, dass ich am liebsten aufgeben würde. Aber was wäre dann mit meinen Kindern?“
Wohnungssuche als größte Sorge
Eine der größten Herausforderungen für Vertriebene bleibt bezahlbarer Wohnraum. Besonders ältere Menschen, Personen mit Behinderungen oder eingeschränkter Mobilität brauchen spezielle Unterstützung, um sicher evakuiert zu werden und geeignete Unterkünfte zu finden.
Doch selbst wer einen Platz gefunden hat, lebt oft weiter mit den ständigen Geräuschen von Drohnen, Explosionen und Beschuss. Die großflächigen Luftangriffe auf Städte haben zuletzt weiter zugenommen – auch Orte, die eigentlich als Zufluchtsorte gedacht waren. Für viele bedeutet das: permanenter Stress und Unsicherheit.
„Wir hatten Todesangst“ – Nadiias Geschichte
Diese Erfahrung machte auch die 37-jährige Nadiia mit ihren beiden Töchtern. Schon 2022 flohen sie aus ihrem Heimatdorf nahe der Frontlinie im Gebiet Saporischschja in die gleichnamige Regionalhauptstadt. Doch auch dort verschärfte sich die Lage – 2025 erlebte die Stadt die schwersten Angriffe seit Beginn der Invasion.
Im Mai, gerade als sie zu Bett gehen wollten, traf ein Luftangriff ihr Viertel.
„Zuerst dachte ich, die surrenden Drohnen würden nur vorbeifliegen. Doch dann kam die erste Explosion“, erinnert sich Nadiia.
Für den Weg in den nächsten Schutzraum war keine Zeit. Nadiia hielt ihre Töchter fest im Flur, dem sichersten Raum in der Wohnung. „Wir hatten Todesangst. Ich habe ein Amulett, das ich in solchen Momenten festhalte, und betete immer wieder. Aber die Explosionen hörten nicht auf.“
Die Familie überstand die Nacht unverletzt, doch die Wohnung wurde beschädigt. Mit Unterstützung von UNHCRs Partner Proliska konnte Nadiia ihre zerstörten Fenster notdürftig reparieren. Neben Baumaterialien leistet UNHCR auch psychosoziale und rechtliche Unterstützung sowie Bargeldhilfen, damit Betroffene das Nötigste bezahlen können.
Millionen weiter auf Hilfe angewiesen
Der Bedarf bleibt enorm: 12,7 Millionen Menschen in der Ukraine sind aktuell auf humanitäre Hilfe angewiesen – vor allem in den Frontgebieten. Hinzu kommen mehr als 2,8 Millionen Binnenvertriebene.
Doch der UNHCR-Hilfsplan ist bisher nur zu 41 Prozent finanziert – obwohl das Jahr schon weit fortgeschritten ist.