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Tiroler Gemeinde ist stolz auf irakischen Flüchtling mit großen olympischen Hoffnungen

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Tiroler Gemeinde ist stolz auf irakischen Flüchtling mit großen olympischen Hoffnungen

4 Juni 2021
Aker beim Training mit dem Ringer-Nachwuchs des Ring-Sport-Clubs Inzing. © UNHCR/Benjamin Loyseau

Aker nimmt Anlauf, macht einen Rückwärtssalto und landet auf den Füßen. Der junge irakische Flüchtling, der aus einer der gefährlichsten Städte der Welt geflohen ist, hat den idealen Ort gefunden, um seine olympischen Träume zu verwirklichen – eine kleine Tiroler Gemeinde, die sich dem Ringen verschrieben hat.

Terror und Gewalt setzten einer glücklichen Kindheit in Mosul ein jähes Ende. Doch sechs Jahre nach seiner Ankunft in Österreich schaut der heute 21-jährige Aker Al Obaidi in Inzing wieder mit Hoffnung in die Zukunft.

„Inzing ist der richtige Ort“, sagt Aker. „Ich habe so viele Fortschritte gemacht, seit ich hierhergekommen bin und ich habe das gefunden, wonach ich gesucht habe, eine Familie.“

Akers Kindheit in Mosul war voller Möglichkeiten. „Wir lebten in einer Villa“, sagt er, „und mein Vater hatte seinen eigenen Ringerclub“. Der einzige Druck war der Erfolgsdruck. „Mein Vater forderte viel, weil er das Beste für mich wollte, aber es ist nicht immer einfach, seinen Vater als Trainer zu haben.“

Einige Jahre später wurde das Leben zunehmend gefährlich, als der IS auf der Bildfläche erschien. „Sie schmierten Botschaften an unsere Wände, die lauteten: ‚Wir kommen, um dich zu holen‘, und schickten Briefe in denen Gewehrkugeln beigelegt waren. Jedes Haus erhielt diese Art von Drohungen.“

Akers Mutter ist praktizierende Christin, wodurch die Familie einem noch größeren Risiko ausgesetzt war. Als die Situation immer gefährlicher wurde, verkaufte Akers Mutter ihren gesamten Goldschmuck und bezahlte einen Nachbarn dafür, die Familie aus der Stadt zu bringen. Die ganze Familie – Vater, Mutter, Aker und seine vier jüngeren Geschwister – flohen zuerst in den kurdischen Teil des Iraks. Die Flucht nach Europa wagte Aker dann alleine, da seine Brüder und Schwestern noch zu klein für die gefährliche Flucht waren. „Ich habe eine Aufnahme der Stimme meiner Mama. Sie sagt:

‚Bleib ruhig, gib alles, pass auf und verletze dich nicht.‘“

Der Weg nach Europa war schwierig. Aker musste von der Türkei aus das Meer nach Griechenland überqueren, in Athen wurde er beinahe Opfer der organisierten Kriminalität. Er sagt, er habe unterwegs „viel Geografie gelernt“. In schwierigen Situationen half ihm seine Ausbildung als Sportler, sich zu behaupten. „Wenn ich angegriffen oder überfallen wurde, konnte ich mich verteidigen. Aber normalerweise kam es nicht dazu, weil die Leute sehen konnten, dass ich ruhig und selbstbewusst war.“

Nach seiner Ankunft in Österreich wurde er in einem Zentrum für unbegleitete Minderjährige in Graz untergebracht und erhielt 2016 subsidiären Schutz.

In Graz fühlte sich Aker sehr wohl und gut aufgehoben, aber sportlich gab es wenig Perspektiven, seinem olympischen Traum näher zu kommen.

Aker begann daher, verschiedenen österreichischen Ringervereinen zu schreiben. Ein Verein bot Aker sogar Geld an, damit er bei ihnen trainiert. Doch Geld war für Aker nicht der ausschlaggebende Faktor, wie die Obleute des Ringervereins in Inzing berührt feststellten. „Wir waren auf der Suche nach Talenten für die österreichische Liga“, sagt Klaus Draxl, Präsident des Ring-Sport-Clubs Inzing (RSCI), der Aker schließlich aufnahm.

„Wir sind auf ihn aufmerksam geworden. Er war immer am Gewinnen und wir waren beeindruckt. Er kam auf einen kurzen Besuch nach Inzing, und ich fragte ihn nach seinen Plänen. Ich sagte ihm, dass ich ihn nicht zahlen könnte, so wie andere Clubs, aber ihm dabei helfen könne, Arbeit zu finden. Aker sagte: ‚Sie müssen wissen, dass ich eine Familie suche.‘ Darauf sagte ich: ‚Willkommen, ich bin der Vater dieses Clubs.‘“

Klaus Draxl und seine Frau Angelika wurden für Aker zu „Gasteltern“. Sie fanden für Aker eine Wohnung und eine Arbeit in einem Warenlager. Klaus, der im Laufe der Jahre mehr als 1.000 Kinder das Ringen beigebracht hat, ernannte einen seiner besten Schützlinge, Benedikt „Mo“ Ernst zu Akers Trainer. „Unser Verein ist wie eine Familie, wir helfen uns immer gegenseitig“, sagt Benedikt, der nicht nur eine starke Ringer-Bilanz hat, sondern auch einen Master in Psychologie.

Mit Benedikt ist Aker aufgeblüht. „Ich freue mich darauf, auf die Matte zu gehen“, sagt Aker.

„Ich bin immer noch nervös, aber es gibt zwei Arten, nervös zu sein – die Angst vor dem Verlieren und den Wunsch, wirklich gewinnen zu wollen.“

Und gewonnen hat der junge Ringer auch schon viel: Unter anderem die Bronzemedaille bei der U20 Europameisterschaft 2019 in Spanien.

Neben seinem eigenen Training engagiert sich Aker auch bei den Trainings des Vereins-Nachwuchses. Seine Freundin Verena hat glücklicherweise vollstes Verständnis dafür, dass er viele Abende seinem Sport widmet. „Man weiß, was man bekommt, wenn man mit einem Sportler ausgeht“, lacht sie.

Aker, der mindestens siebenmal pro Woche trainiert, unterrichtet auch den Nachwuchs. Es sind rund 60 Kinder, die beim RSCI Ringen lernen. Er zeigt ihnen Roll- und Dehnungsübungen und sie machen seinen Radschlag nach. Nach dem Training mit den Kindern steht das eigene Training mit seinen erwachsenen Team-Kollegen auf Akers Programm.[1]

Im Club versteht Aker sich gut mit dem „sanften Riesen“, darunter Daniel Gastl. Aber Daniel ist mit 100 kg 30 kg schwerer als Aker, der in seiner eigenen Gewichtsklasse unbedingt noch mehr Partner finden muss.

„Jeder Ringer motiviert sich anders“, sagt Aker, „aber wenn ich ernsthaft kämpfe, gebe ich alles und kenne das Wort ‚unmöglich' nicht.

„Aker ist noch sehr jung“, sagt Trainer Benedikt. „Es ist unüblich, in diesem Alter zu Olympia zu kommen. Sein Höhepunkt wird in drei Jahren sein. Aber Aker ist etwas Besonderes, er ist sehr reif für sein Alter. Es besteht also eine Chance, dass er es nach Tokio schafft.“

Aker weiß, dass es für ihn weitere Chancen auf die Teilnahme an Olympischen Spielen, etwa 2024 in Paris und 2028 in Los Angeles geben wird, vorausgesetzt, er ist nicht verletzt.

Trotzdem hat er intensiv darauf hingearbeitet, es bereits heuer nach Tokio zu schaffen.

Aker hat – trotz Pandemie sein Trainingspensum erhört und härter als in den vergangenen Jahren trainiert. Dies war auch dank des Stipendiums des Internationalen Olympischen Komitees möglich. „Für Tokio werde ich in Topform sein“, sagt Aker.

Aker weiß, wenn er es bis nach Tokio schafft, dann wird er nicht nur für sich selbst sein Bestes geben, sondern möchte auch ein Zeichen für Geflüchtete setzen. „Es ist klar, dass es überall gute und schlechte Menschen gibt, auch unter Geflüchteten“, sagt er.

„Und ich möchte der Welt zeigen, dass in Flüchtlingen so viel Potenzial steckt. Dafür muss ich selbst erfolgreich sein.“

In der Woche vom 7. Juni 2021 wird das Refugee Olympic Team für Tokio bekanntgegeben. Wir drücken Aker die Daumen!

[1] Die Geschichte ist vor Beginn der Pandemie entstanden.