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Win-Win Situation: StudentInnen geben Flüchtlingen Musikunterricht

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Win-Win Situation: StudentInnen geben Flüchtlingen Musikunterricht

25 May 2018
Ulrike Schmidt (2. von rechts), Projektmanagerin des Vereins Live Music Now, zusammen mit Flüchtlingen, die im UNISONO-Projekt zusammen mit MusikstudentInnen Instrumente lernen. © UNHCR/Stefanie J Steindl

WIEN, Österreich – Samstagnacht in der Wiener Bar SCHWARZBERG, ein Knistern liegt in der Luft, die Stimmung ist ausgelassen. Flüchtlinge stehen zum ersten Mal gemeinsam mit MusikstudentInnen auf der Bühne, die den Neuankömmlinge verschiedene Instrumente beigebracht haben. Obwohl er erst seit zwei Monaten Klavierunterricht bekommt, gibt Milad Osman, 23, aus Afghanistan, bei diesem Konzert bereits ein kurzes Solo zum Besten.

„Ich bin so stolz auf ihn“, sagt Visar Kasar, 23, aus dem Kosovo, der Komposition am JAM Music Lab, einem Musikkonservatorium für Jazz und Popularmusik, studiert. Visar hat Milad im Rahmen des Musikprojekts „UNISONO“ Klavierunterricht gegeben.

UNISONO ist eine Initiative des Vereins Live Music Now Wien, einer von Geiger Yehudi Menuhin gegründeten internationalen Organisation, die Musik zu den Menschen in geschlossene Institutionen bringen will, wie in Pflegeheime aber auch in Flüchtlingsunterkünfte.

 

 

„Als wir in den Flüchtlingsunterkünften Konzerte spielten, bekamen wir Fragen vom Publikum“, erzählt Ute Ulrike Schmidt, Projektmanagerin von Live Music Now-UNISONO. „Sie fragten: ‚Eure Konzerte sind sehr schön, wir genießen sie, aber können wir auch Musik machen?‘“

Frau Schmidt hatte die Idee, Flüchtlinge mit Studenten von angesehenen Musik-Universitäten wie dem JAM Music Lab und der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien zusammenzubringen. Unter der Betreuung von Professoren können die angehenden MusiklehrerInnen Erfahrung sammeln und sich das Unterrichten im Rahmen des Projekts auch für ihr Studium anrechnen lassen.

Gabriela Haffner, Generalsekretärin von Live Music Now Wien, ist begeistert von dem Projekt: „Unsere Studenten bereiten sich auf den Lehrerberuf vor und brauchen Praxiserfahrung. Wir bringen sie mit den Flüchtlingen zusammen:  eine Win-Win Situation.“

„Ich möchte auch andere Mädchen dazu ermutigen, bei dem Projekt mitzumachen."

Die Gitarre ist für viele das Instrument der Wahl. „Ich wollte schon seit ich jung war Gitarre spielen, weil man damit mit Freunden zusammen rausgehen und gemeinsam singen kann“, sagt Khadija Ahmadi, 19 Jahre, aus Afghanistan. „Aber nie im Leben hätte ich dies in Afghanistan tun können. Frauen ist das nicht erlaubt und Musik im Allgemeinen war etwas Sündhaftes.“

Für das Barkonzert – der erste öffentliche Auftritt der Flüchtlinge – trägt Khadija ein Outfit, das mit den langen Ohrringen und dem Stirnband an die 1920er Jahre erinnert.

 

 

„Ich habe ganz von vorne angefangen“, sagt sie. „Ich wusste nicht einmal, wie ich das Instrument anfassen sollte. Ich war das einzige Mädchen in meinem Kurs, weshalb ich mich anfangs etwas unwohl gefühlt habe. Aber der Lehrer war sehr nett und hat mich unterstützt.“

Durch den Unterricht hat Khadija, wie sie sagt, auch an Selbstbewusstsein gewonnen.

„Ich möchte auch andere Mädchen dazu ermutigen, bei dem Projekt mitzumachen. Oft denkt man sich: ‚Was würden die anderen sagen?‘ Aber ich will Frauen und Mädchen zeigen, dass sie nur einmal leben und dass sie machen können, was sie wollen.“

Wahid Mahrami, 23 Jahre, war Polizist in Afghanistan und hat in seinem Deutschkurs von dem Musikprojekt erfahren. Er hat sich ebenfalls für die Gitarre entschieden. Auf der Bühne trägt er eine himmelblaue Krawatte und spielt eine rote Gitarre, ein Geschenk einer österreichischen Familie.

„Es ist toll, Teil dieses Projekts zu sein“, sagt er. „Ich habe mich mit vielen ÖsterreicherInnen angefreundet. Ich liebe die Musik. Ich könnte jetzt nicht mehr ohne sie leben.“

„Wir wollen, dass sie jedes Mal ein Erfolgsgefühl haben, wenn sie zu uns kommen.“

Inspiriert wurden die Flüchtlinge von Lehrern wie Christoph Mallinger, der das Projekt musikalisch und pädagogisch am JAM Music Lab mitentwickelt hat. Am heutigen Abend hat er alle Hände voll zu tun: Er führt das Publikum durch das Programm und sorgt als Dirigent vor der Bühne dafür, dass keiner seinen Einsatz verpasst. Die Nervosität vor dem Auftritt war bei allen groß, aber Christoph hat für jeden ein bestärkendes Wort parat.

Gemeinsam mit Christoph Mallinger werden StudentInnen, wie Gerald Stenzl, der gerade sein Masterstudium am JAM Music Lab absolviert, das Projekt in die nächste Phase bringen und mit bewährten Unterrichtskonzepten weiterarbeiten.

„Wir versuchen, die Sprache und die Theorie weitgehend wegzulassen und in einer nonverbalen Weise zu unterrichten – mit dem ‚Call and-Response’-Prinzip“, sagt Gerald Stenzl.

„Wir haben keine Einsteigerkurse, in jeder Gruppe sind SchülerInnen mit unterschiedlichen Kenntnissen. Sie können verschiedene Teile übernehmen, je nach ihrem Können. Wir wollen, dass sie jedes Mal ein Erfolgsgefühl haben, wenn sie zu uns kommen.“

Faith Ogoruwa, 20, aus Nigeria, strahlt, als sie nach der Generalprobe von der Bühne kommt. Sie hat noch kein Instrument begonnen, aber entdeckt durch das Projekt ihre vielversprechende Stimme.

„Ich mag die hohen Tonlagen, so wie hier“, sagt sie, und demonstriert eine Phrase des Songs, den sie später auf der Bühne präsentiert: „I love the way you look at me.“

„Ich habe noch nie zuvor gesungen. Mein musikalische Laufbahn hat hier begonnen.“

Mit UNISONO konnte auch Said Ahmad Hoseini, 23, aus Afghanistan, seinen Traum vom Geige spielen  realisieren.

„Ich habe die Geige schon immer geliebt und viel Blues gehört“, erzählt er, „Ich fühle mich einfach gut, wenn ich Geige spiele.“

„Die Zusammenarbeit ist eine Herausforderung aber auch sehr bereichernd.“

Während des Unterrichtens hat sein Lehrer, Andrew Gorman aus Großbritannien, viel Erfahrung gesammelt, die auch für seine zukünftige Arbeit als Musiklehrer wertvoll ist.

„Die Flüchtlinge fangen komplett bei null an“, sagt er. „Die Zusammenarbeit ist eine Herausforderung aber auch sehr bereichernd.“

Unter den Projektteilnehmern sind auch manche, die noch auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten. „Wenn jemand einen positiven Bescheid bekommt, feiert die Gruppe mit Mozartkugeln“, sagt Frau Schmidt. „Wenn jemand abgelehnt wird, ist die ganze Gruppe schockiert.“

Aber heute Abend in der Bar sind alle in Feierlaune. Die Musik beginnt und das Publikum beginnt zu tanzen.

„Es ist richtig cool. Ich überlege mir, einer Klasse beizutreten“, sagt Sahil Salehizadeh, 19 Jahre, ein Zuschauer aus Afghanistan.

Auch interessiert an dem Projekt ist Julian Yo Hedenvorg, ein Pianist, der in Eisenstadt studiert, wo sich auch Bischof Ägidius Zsifkovics für Flüchtlinge einsetzt. Julian möchte sich in der burgenländischen Landeshauptstadt ebenfalls engagieren. „Ich bin hier in Wien, um mir eine Vorstellung darüber zu machen, was möglich ist“, sagt er.

Währenddessen hat Milad Osman gerade sein Klaviersolo beendet, begleitet von lauten Zurufen und Applaus. „Ich fühle mich frei. Ich kann alle möglichen verrückten Dinge machen“, sagt er über seine Improvisation. „Aber natürlich muss ich auch die Noten und die Fingertechnik lernen.“

„Es war großartig“, sagt Visar Kasar, der Milad seit nur zwei Monaten unterrichtet. „Mir wird klar, dass ich die Nervosität meiner eigenen Lehrer immer unterschätzt habe. Ich glaube, ich war vor Milads Auftritt aufgeregter als er selbst.“