Vom Flüchtlingskind zur Vegan-Pionierin
Vom Flüchtlingskind zur Vegan-Pionierin
Ein grauer Novembermittag am Seeufer von Zürich. Im Industriechic des „Ziegel oh Lac“, einer ehemaligen Seidenweberei, isst Eva Kelemen regelmäßig zu Mittag. Ihr Nudelgericht ist vegan und das, was sie nicht isst, lässt sie sich einpacken. Für die 45-Jährige eine Selbstverständlichkeit: Sie setzt sich sowohl für eine tierfreie Ernährung als auch für ressourcensparenden Konsum ein. Beide Aspekte verbindet sie in ihrem Laden „Eva’s Apples“: Dort verkauft sie vegane Waren aller Art – von Fleischalternativen über Schlagcreme bis hin zu Kosmetikartikeln. Wenn immer möglich, verzichtet sie dabei auf Verpackungen. So können sich ihre Kunden zum Beispiel Nudeln, Trocken- oder Hülsenfrüchte aus Spendern in Mehrweggläser abfüllen.
Die Idee zu dem Laden hatte Eva, als sie vor fünf Jahren in einer Radiosendung vom Buch „Tiere essen“ des US-amerikanischen Schriftstellers Jonathan Safran Foer gehört hatte: „Nach der Lektüre des Buches habe ich den Entschluss gefasst, mich vegan zu ernähren“, erzählt Eva. „Mir fiel es erstaunlich leicht, auf Produkte tierischen Ursprungs zu verzichten. Allerdings war es wirklich schwer, die dementsprechenden Nahrungsmittel in Zürich zu finden.“ Um dies zu ändern, hat sie ein Jahr darauf ihren ersten Laden eröffnet, der gleichzeitig auch der erste dieser Art in der Schweiz war. Inzwischen hat sich „Eva’s Apples“ zu einer echten Erfolgsstory entwickelt. 2015 hat sie einen Laden in Bern eröffnet und letztes Jahr einen zweiten in Zürich-Wollishofen. 11 Mitarbeitende hat sie mittlerweile.
Ihren Beruf sieht sie in einem größeren Zusammenhang, in dem sie sich auch für Umweltschutz, Tier- und Minderheitenrechte einsetzt. „Letztendlich geht es um einen gesamtgesellschaftlichen Wandel und Speziesismus (die Diskriminierung von Lebewesen aufgrund ihrer Artzugehörigkeit, Anm. d. Red.) gehört derselben Denkweise an wie Rassismus oder Sexismus“, so Eva. Das zivilgesellschaftliche Engagement zieht sich durch ihre Familienbiografie. 1981 mussten ihre Eltern und ihre Schwester die Slowakei – heute ein Mitgliedstaat der EU, damals dem Ostblock-Staat Tschechoslowakei zugehörig – verlassen. „Mein Vater war Oberarzt in einem Spital. Parallel schrieb er für eine regimekritische Zeitung. Als die Behörden davon erfuhren, wurde er vor die Wahl gestellt: entweder Gefängnis oder Flucht.“
„Mein Vater war Oberarzt in einem Spital. Parallel schrieb er für eine regimekritische Zeitung. Als die Behörden davon erfuhren, wurde er vor die Wahl gestellt: entweder Gefängnis oder Flucht.“
Eva Kelemen ist während ihrer Kindheit als Flüchtling in die Schweiz gekommen.
Für das damals 10-jährige Mädchen wurde es ein besonderer Sommer: „Ich habe das Schuljahr in der Slowakei beendet. Dann sind wir über Jugoslawien und Wien in Zürich gelandet, da meine Eltern dort Bekannte hatten. Zum Schulbeginn fand ich mich in einem fremden Umfeld wieder, ohne auch nur ein Wort Deutsch zu sprechen.“ Die Schweiz war schon Ende der 60er-Jahre ein wichtiges Aufnahmeland für politische Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei gewesen: Allein 1968 nach dem Prager Frühling waren etwa 13.000 Menschen in das Land gekommen.
Für Eva war die Ankunft in der Schweiz ein prägendes Erlebnis: „Meine Eltern sagten meiner Schwester und mir, dass wir versuchen sollten, nicht aufzufallen. Deshalb wollte ich von Anfang an Anschluss an meine Klassenkameraden finden. Nach einem Jahr bereits sprach ich fließend Schweizerdeutsch.“ Was ihr auffiel, war die Tatsache, dass die Schweizer mit wesentlich weniger Körperkontakt kommunizieren als die Menschen in ihrem Heimatland: „Daran musste ich mich erst gewöhnen.“ Für ihre Eltern war der Neustart in der Schweiz mit gewissen Einschränkungen verbunden. Da ihre Abschlüsse nicht anerkannt wurden, arbeitete der Vater als Assistenzarzt, während die Mutter, die in ihrer Heimat Lehrerin gewesen war, in einer Fabrik Arbeit fand. Dazu kam, dass die Familie fast vier Jahre lang nicht wusste, ob sie dauerhaft in der Schweiz bleiben darf. Den positiven Entscheid bekam die Familie schließlich per Brief an einem Weihnachtstag.
Aufgrund ihrer Geschichte hat sie ein besonderes Interesse an den aktuellen Flüchtlingsschicksalen. „Ich weiß, wie es ist, aus einem gewohnten Lebensumfeld herausgerissen zu werden. Mir fällt es deshalb leicht, mich in andere Menschen und ihre Situationen hineinzuversetzen.“ Auch hier sieht sie wieder den größeren Zusammenhang: Da unser Konsumverhalten – vor allem der Fleischkonsum – die lokale Wirtschaft in den Herkunftsländern negativ beeinflussen und Migration direkt oder indirekt verursachen kann, sieht sie ihre vegane Lebensweise auch als politisches Statement.
„Ich weiß, wie es ist, aus einem gewohnten Lebensumfeld herausgerissen zu werden.“
Eva Kelemen, Gründerin des Ladens «Eva’s Apples», schätzt die multikulturelle Bereicherung, welche die Flüchtlinge nach Zürich bringen.
Allerdings sieht Eva Unterschiede zwischen ihrer Biografie und den Erlebnissen heutiger Flüchtlinge. Für ihre Familie war es letztendlich nicht so schwer, sich in der Schweiz zurechtzufinden. Gerade kulturell gab es viele Überschneidungen, trotz der damaligen Aufteilung der Welt in West- und Ostblock. Es sind die neuen Einflüsse der heutigen Flüchtlinge, die sie faszinieren und von denen sie denkt, dass sie das Leben der Einheimischen bereichern können, vor allem kulturell: „Als ich mit meiner Familie nach Zürich kam, gab es lediglich vereinzelt Restaurants mit Gerichten aus anderen Ländern. Heute gibt es ein sehr breites multikulturelles Angebot, das Zürich lebenswert macht.“
Sie selbst besitzt den Schweizer Pass, seit sie 18 ist, und fühlt sich dem Land auch sonst vollkommen verbunden. „Wie die Schweizer bin ich auch dafür, bestimmte Regeln im Alltag einzuhalten, zum Beispiel, nicht auf Velowegen zu laufen. Einzig mit dem Läuten der Kirchglocken konnte ich mich nie anfreunden, so etwas gab es in der sozialistischen Tschechoslowakei nicht“, sagt sie lachend.
Entdecken Sie die Internetseite 'Eva's Apples'.