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Resettlement-Programm gibt syrischer Familie wieder Hoffnung

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Resettlement-Programm gibt syrischer Familie wieder Hoffnung

17 März 2018
Nasr Allah Husain und seine drei Kinder Raman, Lorin und Mohamed verlassen das Flugzeug, dass die Familie zusammen mit gut 100 weiteren Flüchtlingen aus Ägypten nach Hannover gebracht hat. ©UNHCR/Gordon Welters

Damiette, eine Küstenstadt am Nil-Delta, 200 Kilometer nördlich von Kairo. Rose Husein, Zahnärztin aus Aleppo und Mutter von vier Kindern, ist nach dem Ausbruch des Krieges in ihrem Heimatland mit ihrer Familie nach Ägypten geflohen. „Sieben Jahre lang haben wir gehofft, dass sich die Situation in Syrien verbessert und wir zurückkehren können“, berichtet sie. Gemeinsam haben sie in Ägypten Schutz gesucht, doch syrische Flüchtlinge sind hier alles andere als willkommen, besonders nach dem politischen Umsturz 2013. Rose und Nasrallah dürfen außerdem nicht arbeiten – eine schwierige Situation für das Paar und ihre vier Kinder Lorin, Selma, Mohamed und Raman (12, 11, 6 und 5 Jahre), und bis vor kurzem scheinbar ohne jeden Ausweg.

Doch dann wird die Familie 2017 von UNHCR für das sogenannte Resettlement-Programm ausgewählt. In Deutschland ein neues Leben beginnen zu können, in Sicherheit sein, wieder auf eigenen Beinen stehen und den Kindern eine Zukunft bieten – von all diesen bis dahin ungeahnten Möglichkeiten ist das Paar überwältigt. Die beiden kleinen Söhne freuen sich hingegen am meisten auf etwas ganz anderes, wie Rose berichtet, nämlich auf den Schnee, den es in Deutschland geben soll.

Mitten im kalten Februar ist es dann soweit: das Terminal D am Flughafen Hannover ist ein graues, kastenförmiges Gebäude, für den normalen Flugverkehr geschlossen. An diesem Donnerstag liegen die Temperaturen um den Gefrierpunkt, es fallen ein paar Schneeflocken, noch dazu weht ein eisiger Wind. Auf dem Rollfeld ist es entsprechend ungemütlich, als die Chartermaschine gegen 13 Uhr landet. Außer der Familie Husein noch an Bord: 101 meist syrische Flüchtlinge, die sich zuvor in Ägypten aufgehalten hatten. Das Flugzeug kommt zum Stehen, eine Fahrgasttreppe wird herangeschoben. Die ersten Passagiere laufen eilig die wenigen Schritte zum wartenden Bus, der sie zum Terminal bringen wird.

 

Im Jahr 2017 erhielten weniger als 6% der fast 1,2 Millionen besonders notleidenden Flüchtlinge weltweit einen Resettlement-Platz

 

Sie alle werden in Deutschland über das Resettlement-Programm aufgenommen. Dafür bekommen sie in der Regel einen Aufenthaltstitel für zunächst drei Jahre, eine Arbeitserlaubnis und sogar eine Unterkunft gestellt, außerdem stehen ihnen sofort nach Ankunft Integrationsmaßnahmen zu. Diese Sonderbehandlung ist gerechtfertigt, denn es handelt sich um besonders schutzbedürftige Personen. Sie alle erhielten im aktuellen Aufenthaltsland nicht den notwendigen Schutz, konnten aber auch nicht in ihre Heimat zurückkehren. Wenn ihnen sowohl die Integration ins Aufnahmeland als auch die freiwillige und sichere Rückkehr unmöglich ist, bleibt nur noch die Neuansiedlung in einem sicheren Drittland. Diese wird jedoch nur für die wenigsten Bedürftigen tatsächlich Realität. So standen laut UNHCR im Jahr 2017 den von Aufnahmestaaten bereitgestellten 75.188 Resettlementplätzen über 1,19 Millionen besonders schutzbedürftige Menschen gegenüber. Auch in den Jahren zuvor überstieg der Resettlementbedarf bei weitem die Zahl der von den Staaten bereitgestellten Aufnahmeplätze.

Rose, eingepackt in einen dicken Wintermantel, steigt aus dem Flugzeug. Sie hatte eine gute Reise, alles sei schneller gegangen als erwartet. Der Schnee weht ihr ins Gesicht. Sie habe sich sogar auf das Wetter in Deutschland gefreut sagt sie, „obwohl ich wusste was auf mich zukommen würde“. Fast ausgelassen wirkt die die Familie Sadik, die nach den Huseins die Treppe herunterkommt. Die fünf Kinder scharen sich um Vater Abdel Rahman, für ein Foto vor dem Flugzeugrumpf. "Ich bin sehr glücklich, nun endlich in Deutschland angekommen zu sein, es ist ein Wunder“, sagt er und hofft, dass seine Kinder jetzt „in Sicherheit sind, dass sie eine Ausbildung machen können, dass sie wieder eine Zukunft haben“.

 

„Für Sie soll jetzt eine Phase der Ruhe beginnen“

 

Es sind hauptsächlich Familien mit kleinen Kindern, die nun nicht mehr über gefährliche Fluchtrouten nachdenken müssen, nicht mehr in die Hände von Schmugglern geraten können, sich nicht mehr der Gefahr aussetzen müssen, bei der Überfahrt über das Mittelmeer zu ertrinken. Resettlement ist ein legaler Zugangsweg, und er ist sicher. Nach einer kurzen Passkontrolle – die Flüchtlinge haben bereits einen langwierigen Auswahlprozess hinter sich, die Einreisekontrolle ist nur noch eine Formsache – machen sie einen Zwischenstopp in der Ankunftshalle, bevor es mit dem Bus weitergeht.

Für Getränke und ein paar Snacks hat das BAMF gesorgt, auch für ein paar Spielsachen für die Kinder. Hartmut Renz, Fachbereichsleiter im Bundesamt, heißt die Flüchtlinge willkommen. „Für Sie soll jetzt eine Phase der Ruhe beginnen“, so der Beamte. „Sie sollen ein neues Leben an verschiedenen Orten in Deutschland beginnen“, und die deutsche Verwaltung, so Renz weiter, wolle sie bestmöglich dabei unterstützen, sich in Deutschland wohlzufühlen.

Die Familie Sadik steht an einer Sitzbank, Herr Renz vom BAMF hat gerade aufgehört zu sprechen. Die 14-jährige Tochter Scham, ihre 12-jährigen Drillingsgeschwister Mohamed, Roua und Roula und die zehnjährige Tochter Shahed blicken aufgeregt umher. Sie haben sich schon in Ägypten Bücher gekauft, um Deutsch zu lernen und sind nun stolz darauf, ihre ersten Sätze ausprobieren zu können. „Guten Tag, ich heiße Scham!“, sagt die Älteste, spricht dann aber auf Arabisch weiter.

Sie freue sich in Deutschland am meisten darauf, wieder optimistisch in die Zukunft zu blicken. Die Familie Sadik hat nach der Flucht aus ihrer Heimatstadt Duma bei Damaskus sechs Jahre lang in Ägypten gelebt, dort hatten sie keine Perspektive. Vater Rahman zeigt auf seine Tochter Roua und berichtet von einer Bombenexplosion in Syrien. Seine Tochter habe eine große, runde Narbe knapp unterhalb ihres Halses davongetragen, in Ägypten bekamen sie kaum medizinische und psychologische Unterstützung. Seine Frau Samah, 33 und fünffache Mutter, ist wieder schwanger. Ihr sechstes Kind wird in Deutschland zur Welt kommen. „Ich hoffe dass ich irgendwann etwas zurückgeben kann“, sagt sie.

Rose hat mit ihrem Mann und den Kindern ein paar Bänke weiter Platz genommen. Ein Bus wird sie kurze Zeit später nach Friedland in Niedersachsen bringen, wo die Flüchtlinge nach zwei Wochen auf ganz Deutschland verteilt werden. In Deutschland wollen sie zuerst die Sprache lernen, „das hat Priorität“, sagt Nasrallah. „Für später wünsche ich mir, weiter in meinem Fach arbeiten zu können“, fügt er hinzu. Seine Frau Rose berichtet von syrischen Freunden in Deutschland, die auch Ärzte seien. Sie würden ihnen beim Ankommen und beim Wiedereinstieg sicher eine große Hilfe sein.

Das Grenzdurchgangslager Friedland ist seit 70 Jahren eine der ersten Stationen in Deutschland

 

Drei Tage später stehen Rose und Nasrallah im Grenzdurchgangslager Friedland, vor einem weißen, unscheinbaren Flachbau. Der kleine Ort Friedland, keine 20 Kilometer südlich von Göttingen, war schon für Millionen von Menschen in Deutschland die erste Station auf der Suche nach Schutz. Unmittelbar nach dem Ende des zweiten Weltkrieges vom britischen Militär in günstiger Lage zwischen den drei Besatzungszonen errichtet, hat das Zentrum in seiner über 70-jährigen Geschichte schon deutsche Kriegsgefangene und Spätaussiedler, Bootsflüchtlinge aus Vietnam und Tamilen aus Sri Lanka beherbergt.

Heute sind es beispielsweise Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak, die von hier aus in der Bundesrepublik verteilt werden. Zu ihnen gehören nun auch Rose, Nasrallah und die Kinder. Die Eltern sind gerade auf dem Weg zum Wegweiserkurs, wo sie jeden Tag Grundlegendes über ihre neue Heimat lernen und ihre ersten deutschen Sätze lernen. Die Söhne gehen derweil in die Kinderbetreuung ein paar Häuser weiter, die beiden älteren Töchter besuchen die Schule. Das freut die Rose und Nasrallah besonders: „In Ägypten gab es zwar Unterricht, aber hier sehe ich, dass es meinen Kindern Spaß macht“, sagt Rose.

Noch etwa zehn Tage wird die Familie bleiben, dann werden sie einer Kommune in Deutschland zugewiesen. Es wird nach Sachsen gehen, wohin genau steht noch nicht fest. Rose spricht sehr gut Englisch und ist zuversichtlich, dass ihr das beim Einleben helfen wird. „Wir hoffen natürlich auf eine nette Nachbarschaft“, sagen beide.