Workeer: Wir helfen bei der Jobsuche
Workeer: Wir helfen bei der Jobsuche
Das Co-Founder-Team von Workeer - von links nach rechts: Victoria Baumann, Karl Liebich, David Jacob & Robert Enderlein
Mehr als zwei Millionen Menschen haben in Deutschland Schutz vor Krieg und Verfolgung gefunden. Sie bringen wertvolle Erfahrungen und Fähigkeiten mit. Die Möglichkeit, aktiv mitzuarbeiten und die eigenen Kenntnisse einzubringen, ist oft der Schlüssel für ein echtes Ankommen. Gleichzeitig suchen zahlreiche Branchen in Deutschland händeringend nach Arbeits- und Fachkräften.
Die Frage, wie man beide Seiten zusammenbringt, hat ein Start-up aus Berlin beantwortet. Workeer entstand aus einem Bachelor-Projekt und ist heute die größte Jobplattform für Flüchtlinge und internationale Talente in Deutschland sowie Partner von UNHCR.
Wir haben mit Victoria Baumann, der Mitgründerin von Workeer, über die Entstehung der Plattform, die Herausforderungen und Chancen bei der Arbeitssuche von Flüchtlingen und darüber, wie digitale Lösungen dabei helfen, Brücken zu bauen, gesprochen.
Was war die Idee hinter der Gründung von Workeer?
Workeer wurde 2015 gegründet in einer Zeit, in der zum einen viele Geflüchtete - damals vor allem aus Syrien - nach Deutschland gekommen sind und gleichzeitig der Fachkräftemangel immer deutlicher spürbar wurde. Der Satz „Wir schaffen das“ stand damals für eine Haltung: nicht abwarten, sondern anpacken und konkrete Lösungen schaffen. Genau aus diesem Tatendrang heraus entstand auch Workeer.
Das Team hinter Workeer hat damals schon beobachtet, dass es für Menschen, die nach Deutschland fliehen mussten, schwer ist, den passenden Einstieg in den Arbeitsmarkt zu finden. Sie wissen oft nicht, wo sie sich bewerben können, welche Arbeitgeber offen für sie sind und welche Anforderungen sie mitbringen müssen. Sprachbarrieren und fehlende Strukturen machen die Jobsuche zudem zusätzlich kompliziert.
Mit Workeer haben wir deshalb den ersten strukturierten Ansatz für die Jobsuche internationaler und geflüchteter Talente geschaffen: eine Plattform, die den Jobsuchenden Orientierung gibt und Arbeitgeber:innen sichtbar macht, die tatsächlich bereit sind, Vielfalt in ihren Teams zu leben. So können beide Seiten auf Augenhöhe zueinander finden.
Die Nutzung der Plattform ist niedrigschwellig: ein paar Klicks reichen, um ein Profil zu erstellen und sich zu bewerben
Warum ist aus Ihrer Sicht die berufliche Integration so entscheidend für die Teilhabe und das Ankommen von Flüchtlingen in Deutschland?
Berufliche Integration ist weit mehr als ein Arbeitsvertrag. Auf wirtschaftlicher Ebene bedeutet Arbeit finanzielle Unabhängigkeit und Stabilität. Genauso wichtig ist aber die soziale Dimension. Der Arbeitsplatz ist einer der zentralen Orte der Begegnung. Hier entstehen Kontakte, Freundschaften und Netzwerke, die das Ankommen erleichtern und den Weg in die Gesellschaft öffnen.
Dabei profitieren nicht nur Geflüchtete selbst. Arbeit schafft Räume, in denen Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenkommen und Vielfalt im Alltag erleben. Das hilft, Vorurteile abzubauen, Stereotype zu hinterfragen und trägt zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. Berufliche Integration stärkt also nicht nur Einzelne, sondern unsere gesamte Gesellschaft.
Welche Herausforderungen begegnen geflüchtete Menschen Ihrer Erfahrung nach am häufigsten beim Einstieg in den Arbeitsmarkt?
Die größte Hürde ist nach wie vor die Sprache. Der deutsche Arbeitsmarkt ist stark deutschsprachig geprägt. Wir versuchen deshalb, gemeinsam mit Arbeitgeber:innen Wege zu finden, Sprachbarrieren abzubauen und Talente trotzdem frühzeitig einzubeziehen. Ein Beispiel ist unsere Partnerschaft mit Babbel. Jedes Talent, das über Workeer eingestellt wird, erhält einen kostenlosen Zugang zur Sprachlern-App und kann so direkt „on the job“ Sprachkenntnisse weiter ausbauen.
Ein weiteres Thema sind langsame und komplizierte Anerkennungsprozesse. Viele zugewanderte Personen bringen wertvolle Qualifikationen mit, können diese aber nicht sofort einsetzen. Dadurch gehen Chancen verloren.
Und schließlich spielen strukturelle Barrieren eine große Rolle. Talente mit Flucht- und Migrationshintergrund werden in Rekrutierungsprozessen häufig gar nicht erst in Betracht gezogen. Nicht wegen fehlender Qualifikationen, sondern weil Vorurteile und Stereotype den Blick verstellen. Vielleicht auch aufgrund fehlender Kenntnisse zur interkulturellen Zusammenarbeit. Diskriminierung, ob bewusst oder unbewusst, erschwert so den Zugang zum Arbeitsmarkt.
Genau hier setzen wir an: Mit Workeer machen wir Arbeitgeber sichtbar, die Vielfalt wertschätzen und Talente auf Augenhöhe ansprechen.
Der Workeer Day - eine Jobmesse organisiert in Zusammenarbeit mit Berliner Jobcentern
Wie genau unterstützt Workeer Arbeitssuchende mit Fluchthintergrund und potenzielle Arbeitgeber?
Wir verstehen uns als digitales Werkzeug und gleichzeitig als Raum der Begegnung. Über Workeer finden internationale und geflüchtete Talente sowie Arbeitgeber:innen zusammen. Unternehmen erschließen sich dadurch eine neue Zielgruppe, während Talenten die Jobsuche erleichtert wird.
Damit beide Seiten zueinander finden, gehen wir bei der Ansprache bewusst neue Wege. Wir erreichen Talente nicht nur über klassische Kanäle, sondern auch über unser bundesweites Initiativennetzwerk, über Jobmessen oder spezielle Social-Media-Gruppen.
Unsere Unterstützung endet nicht mit der Jobsuche. Wir vernetzen Talente darüber hinaus mit passenden Hilfsangeboten in ihrer Nähe, stehen bei Fragen zur Seite und geben Tipps rund um Bewerbung, Qualifizierung und Ankommen. Gleichzeitig unterstützen wir Arbeitgeber mit Best Practices und vernetzen bei Bedarf auch mit weiteren Unterstützungsangeboten. Unser Anspruch ist ganzheitlicher Natur. Wir wollen nicht nur kurzfristige Matches schaffen, sondern langfristige und stabile Arbeitsverhältnisse, von denen beide Seiten profitieren.
Gibt es eine Erfolgsgeschichte oder eine Begegnung, die Ihnen persönlich besonders in Erinnerung geblieben ist?
Ja, eine Begegnung ist mir bis heute sehr präsent. Ein syrischer Geflüchteter, der 2015 nach Deutschland gekommen ist, hat über sieben Jahre vergeblich nach einer festen Anstellung gesucht. Trotz zahlreicher Weiterbildungen fand er keinen Weg in den Arbeitsmarkt. Das bestehende System hatte schlicht keine Antwort für ihn.
Über Workeer gelang ihm schließlich der Einstieg als Paketzusteller in Hamburg. Ich war eng mit ihm im Austausch und erinnere mich noch gut an den Moment, als er mir sagte, wie frei er sich fühlt, seitdem er endlich finanziell unabhängig ist. Dieser Satz hat mich sehr berührt und ist bis heute ein täglicher Ansporn, mit Workeer weiter dafür zu sorgen, dass Menschen eine faire Chance auf Teilhabe bekommen.
Wie reagieren Unternehmen auf das Thema – und was braucht es, damit noch mehr Betriebe Flüchtlinge einstellen?
Grundsätzlich erleben wir, dass Unternehmen sehr offen sind. Der zunehmende Fach- und Arbeitskräftemangel öffnet hier Türen, da vielen bewusst ist, dass sie neue Wege gehen müssen, um neue Mitarbeitende zu gewinnen.
Damit Integration gelingt, braucht es aber mehr als nur die Entscheidung, jemanden einzustellen. Wichtig ist, dass ganze Teams sensibilisiert werden - von der Rekrutierung über das Onboarding bis hin zum Alltag im Unternehmen. Vielfalt kann nur dann wirken, wenn sie gelebt wird und alle mitgenommen werden.
Um genau dabei zu unterstützen, haben wir vor Kurzem gemeinsam mit unserem Partner Kiron eine digitale Lernplattform eingeführt. Sie vermittelt Arbeitgebern praxisnah, wie sie Vielfalt in ihren Unternehmen stärken und internationale Mitarbeitende erfolgreich integrieren können.
Workeer arbeitet deutschlandweit und branchenübergreifend
Wenn Sie auf die letzten Jahre zurückblicken: Was hat sich im Bereich der Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen verbessert – und was müsste sich ändern?
In den letzten Jahren hat sich einiges bewegt. Immer mehr Unternehmen sind grundsätzlich offen für Bewerber:innen mit Fluchthintergrund. Wir sehen deutlich, dass Integration über Arbeit funktioniert. Das belegen auch die Zahlen. Nach acht Jahren in Deutschland liegt die Erwerbstätigenquote geflüchteter Männer bei 86 Prozent und damit sogar über dem Schnitt der männlichen Gesamtbevölkerung.
Trotzdem bleibt noch viel zu tun. Prozesse sind oft zu langsam und zu kompliziert, etwa bei der Anerkennung von Abschlüssen. Sprachförderung endet häufig dort, wo sie am dringendsten gebraucht wird: im Arbeitsalltag. Und noch immer werden diese Talente vorschnell abgelehnt, nicht wegen mangelnder Qualifikation, sondern weil Strukturen nicht darauf ausgelegt sind, Vielfalt wirklich mitzudenken.
Gleichzeitig stehen wir als Gesellschaft vor einem demografischen Kipppunkt. Der Arbeitskräftemangel wird sich weiter verschärfen. Angebote wie Workeer sind deshalb keine Nischenlösung, sondern ein ganz konkreter Ansatz, um zugewanderte Talente sichtbar zu machen und Integration so zu gestalten, dass sie sowohl der Wirtschaft als auch der Gesellschaft nutzt.
Ein Motto des Workeer-Teams - hier als Tattoo
Wie sehen Ihre nächsten Ziele für Workeer aus – und was wünschen Sie sich von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft?
Unser Ziel ist es, Workeer Schritt für Schritt von einer reinen Jobplattform zu einer Plattform weiterzuentwickeln, die den gesamten Ankommens- und Teilhabeprozess abdeckt. Wir glauben, dass es digitale und skalierbare Lösungen braucht, um Integration als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wirklich möglich zu machen. Mit Workeer arbeiten wir an einer digitalen Lösung, die Talente nicht nur beim Berufseinstieg, sondern auch beim Ankommen in allen weiteren Lebensbereichen unterstützen soll.
Von der Politik braucht es aus unserer Sicht klare und positive Signale zum Thema Migration. Jüngste Entscheidungen wie Grenzzurückweisungen verschärfen das Klima und schaffen Unsicherheiten. Migration ist Teil der Lösung, insbesondere mit Blick auf den demografischen Wandel, und genau das sollte die Politik in ihrem Narrativ stärker betonen.
Ein ganz konkretes Beispiel: Anhand der Ukrainer:innen sehen wir, wie wirksam die sofortige Erteilung der Arbeitserlaubnis ist. Wir brauchen verstärkt solche Signale, nicht nur für einzelne Gruppen, sondern für alle neu zugewanderten Menschen.