Selai Balkhi: Brückenbauerin für Afghanistans Frauen
Selai Balkhi: Brückenbauerin für Afghanistans Frauen
Selai Balkhi am Globalen Flüchtlingsforum (GRF) 2023.
„Manchmal sehe ich mich ein wenig wie ein Oktopus“, sagt Selai Balkhi, Gründerin der Organisation Afghan Women’s Support (AWS). „Mit meinen Armen verbinde ich die unterschiedlichsten Menschen - immer mit dem Ziel, Frauen in Afghanistan zu unterstützen.“
Mit jener Absicht gründete Selai Balkhi 2018 den Verein AWS. Als Co-Leiterin des Vereins vernetzt und koordiniert sie zahlreiche Akteure - von Universitäten über Startups bis hin zu freiwilligen Helferinnen und Helfern. Durch Wissensaustausch und Finanzierungsmöglichkeiten ermöglicht sie Förderprogramme für Frauen in Afghanistan.
Dabei sieht die angehende Erziehungswissenschaftlerin Bildung als Schlüssel: „Bildung hat mir geholfen, unabhängig zu werden - und diese Unabhängigkeit möchte ich auch Frauen in Afghanistan ermöglichen“, erklärt sie. Da das Taliban-Regime die Freiheit von Frauen in Afghanistan stark einschränkt, ist laut Selai Balkhi jeder noch so kleine Schritt in Richtung Selbstbestimmung für afghanische Frauen sehr bedeutsam.
Ein Vorzeigeprojekt von AWS das „English Bridging“-Programm: Hier lernen junge afghanische Frauen in kleinen Gruppen von maximal sechs Teilnehmerinnen online Englisch, unterstützt von freiwilligen Lehrkräften. Ab der siebten Klasse dürfen Mädchen in Afghanistan nicht mehr die Schule besuchen (UNICEF). Doch Online-Lehrprogramme wie das «English Bridging»-Programm werden von zuhause aus besucht und befinden sich laut Selai Balkhi in einem rechtlichen Graubereich. Sie bieten oft die einzige Möglichkeit für Frauen in Afghanistan, sich weiterzubilden.
Trotz der Rechtsunsicherheit ist die Nachfrage gross und das Programm sehr erfolgreich: Heute unterrichten ehemalige Schülerinnen selbst und leiten ihre eigenen Gruppen. Genau das ist das Ziel: „Bei AWS wollen wir Frauen so weit stärken, dass sie sich selbst helfen können“, sagt Selai. Für viele Absolventinnen bedeutet das Englisch-Programm nicht nur Bildung, sondern auch ein eigenes Einkommen als Lehrerin bei AWS - ein wichtiges Stück Unabhängigkeit.
Internationale Zusammenarbeit als Chance
Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg des damals noch jungen Vereins war die Teilnahme am Globalen Flüchtlingsforum (Global Refugee Forum, kurz GRF) 2023 in Genf. Vertreterinnen und Vertreter von Staaten, NGOs und der Zivilgesellschaft kamen zusammen, um konkrete Zusagen - sogenannte Pledges – zur Unterstützung von Flüchtlingen zu machen. Auch die Schweiz selbst übernahm Verantwortung: Sie entwickelte einen Whole of Society Approach (WOSA), um die Ziele des Globalen Flüchtlingspakts (GCR) umzusetzen. Dieser Ansatz zielt darauf ab, alle Akteure, die Flüchtlinge, Asylsuchende und Binnenvertriebene unterstützen und schützen wollen, einzubeziehen. Dies umfasst Behörden auf allen Staatsebenen, Privatsektor, Flüchtlings- und Diasporagemeinschaften, die Zivilgesellschaft, schweizerische und internationale Menschenrechtsorganisationen wie auch Politik und Medien.
Seit dem GRF 2023 nimmt AWS regelmässig an den WOSA-Austauschtreffen teil. Zivilgesellschaft, internationale Partner, lokale Initiativen – alle ziehen für den Flüchtlingsschutz an einem Strang. „Nur gemeinsam können wir wirklich etwas bewegen - lokal wie global“, so Selai.
Für Selai war es wichtig, an diesem Prozess teilzuhaben: „Das GRF hat mir gezeigt, dass wir nicht alleine kämpfen. Es gibt so viele Menschen und Länder, die die gleichen Ziele verfolgen. Dieses Gefühl der Solidarität gibt mir neue Kraft.“
Die Pledges der Schweiz - etwa für besseren Zugang zu Bildung oder Schutz für gefährdete Frauen - schaffen einen Rahmen, in dem Organisationen wie AWS ihre Arbeit weiter ausbauen können. „Solche Zusagen geben uns Rückenwind. Sie zeigen uns: Es gibt Staaten, die Verantwortung übernehmen - und die Partner vor Ort unterstützen wollen“, betont Selai.
Durch neue Kontakte und Impulse hat AWS wertvolle Kooperationen aufgebaut, etwa mit dem Startup BeeKee, das ein tragbares digitales Lerngerät entwickelt hat, welches insbesondere in abgelegenen Gebieten zum Einsatz kommt. Aufgrund des eingeschränkten Zugangs zu Bildung ist das Gerät für afghanische Mädchen oft die einzige Chance, weiter Englisch zu lernen.
Kleine Schritte, grosse Wirkung
Selai Balkhi zeigt, was möglich ist, wenn lokales Engagement auf internationale Unterstützung trifft. Für Afghanistans Frauen bedeutet das vor allem eines: Neue Hoffnung.
Auch wenn die Situation vor Ort zunehmend schwieriger wird, lässt sich Selai nicht entmutigen: „Selbst wenn es nur kleine Schritte sind, weiss ich, dass sie vorwärts führen und den Frauen helfen können. Das ist das Wichtigste.“